Sudan 2007
 ... Im Lande der Schwarzen Pharaonen ...
                           (Thomas Petzold und Heiko Otto)
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Gäbe es eine Hit-Liste für besonders schwierig zu bereisende Länder - der Sudan würde einen Platz unter den Top-Ten belegen ! Im Laufe der letzten 20 Jahre habe ich mehr als 90 Länder auf beinah allen Kontinenten unseres Planeten besucht und dabei die unterschiedlichsten Völker und Kulturen kennengelernt. Oft wurde ich in der Fremde wie ein guter Freund begrüßt, bisweilen gar von der Straße weg eingeladen. Manchmal bestaunte man mich wie einen Exoten, lachte über Fehler die ich beging, und selten - sehr selten - gab man mir zu verstehen, dass Fremde vor Ort unerwünscht sind. Doch wohin auch immer mein Fernweh mich trieb, nie war es sonderlich schwierig, im Vorfeld der Reise Informationen über das jeweilige Ziel zu sammeln. Der Sudan stellte diesbezüglich ein echtes Novum dar ! Bis dato gibt es über dieses größte aller afrikanischen Länder weder einen Reiseführer* noch besonders hilfreiche Beiträge im Internet. Die wenigen Informationen, die ich vor dieser Reise in Erfahrung bringen konnte, zeichneten zudem ein ziemlich düsteres Bild: Fundamentalismus und internationale Isolation, Unruhen in verschiedenen Landesteilen, eine horrende Bürokratie verbunden mit der Notwendigkeit für alle möglichen Belange behördliche Genehmigungen einzuholen (wobei Informationen über den Sitz der jeweiligen Behörde entweder veraltet oder überhaupt nicht zu bekommen waren), eine kaum vorhandene Infrastruktur (von touristischen Einrichtungen mal ganz zu schweigen) und nicht zuletzt die Willkür der Staatsmacht - alles Dinge, die jeden Reisenden eigentlich vom Besuch dieses Landes abhalten sollten. Nichtsdestotrotz - schon ein Blick auf die Landkarte genügt um zu erkennen, dass der Sudan - das Land der Nubier, die Heimat der Schwarzen Pharaonen - weit mehr als nur Ärger zu bieten hat ...


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Wie üblich habe ich auch auf dieser Reise ein Tagebuch geführt, aus dem ich im Folgenden einige Passagen veröffentlichen möchte:

Moschee in Khartum28. März 2007

Thomas hat angerufen und gefragt, ob ich noch immer einen Partner für meine Reise in den Sudan suche - wenn ja, er wäre dabei ! Bin ehrlich überrascht. Hatte eigentlich schon nicht mehr damit gerechnet, einen Begleiter für dieses Reiseziel zu finden. Leider hat die Sache einen Haken: Thomas bekommt nur Mitte / Ende April Urlaub - das bedeutet weniger als zwei Wochen Zeit für alle notwendigen Reisevorbereitungen ... das wird verflixt knapp !

29. März - 10. April 2007

Wir versuchen in Windeseile alles Notwendige zu organisieren: die Flugtickets, die Visa, aktuelles Informationsmaterial, Landkarten. Das Flugticket stellt sich als das geringste Problem heraus - von Frankfurt/M. via Kairo nach Khartum und zurück mit EgyptAir für runde 400,- EUR, das ist günstiger als wir dachten.Im Regierungsviertel von Khartum Reisetermin: 12. bis 29. April 2007. Der Eilantrag für die Visa mitsamt den Reisepässen und 80,- EUR Bearbeitungsgebühr verschwinden derweil auf dem Postweg - das hat gerade noch gefehlt ! Eine nach zahllosen Telefongesprächen eingeleitete Suchaktion bringt in letzter Sekunde Erfolg - die Pässe tauchen wieder auf - zwei Tage vor dem Abflug ! Wenigstens reagiert die Sudanesische Botschaft sehr schnell. Die parallel gestartete Recherche nach Informationsmaterial über den Sudan bringt erschreckend wenig: Weder in Papierform noch im Internet gibt es nennenswerte, geschweige denn aktuelle Mitteilungen über das Land. Ich versuche aus dem Wenigen selbst eine Art Abendstimmung über dem NilReiseführer zusammenzustellen. (Die meistens Informationen stammen von Berichten lange zurückliegender archäologischer Expeditionen.)

11. April 2007  (Mi)

Nur noch ein Tag bis zum Abreisetermin ! Ich werfe wie so oft in den letzten Tagen einen bangen Blick in den Briefkasten und kann es heuer kaum fassen: Sowohl die Flugtickets als auch die visierten Pässe sind eingetroffen. Benachrichtige sofort Thomas - allerhöchste Zeit, die Rucksäcke zu packen !

Markttreiben am Souq al-Arabi12. April 2007  (Do)

Das Abenteuer beginnt: Treffe mich mit Thomas am Flughafen Frankfurt/M. - Abflug Richtung Afrika (Flugdauer: 7 Stunden plus 6½ Stunden Aufenthalt in Kairo - für einen kurzen Abstecher zu den Pyramiden von Gize reicht die Zeit leider nicht)

13. April 2007  (Fr)

Unsere Maschine landet kurz nach Sonnenaufgang in Khartum. Die Einreiseformalitäten sind erfreulicherweise schnell erledigt; Straßenszene in Khartumdafür erwartet uns eine böse Überraschung an der Gepäckrückgabe: Thomas' Kraxe sieht arg ramponiert aus. Das Aluminiumgestell ist gebrochen - wir können den Schaden nur sehr notdürftig mit Hilfe eines Lederriemens ausbessern. Bin sehr skeptisch, ob das Teil die vor uns liegenden Strapazen überstehen wird.
Der erste Schritt aus dem Flughafengebäude ist wie ein Schlag mit dem Dampfhammer: Trotz der morgendlichen Stunde brennt die Sonne schon tropisch heiß vom Himmel. 34°C zeigt das Thermometer meiner Armbanduhr. Trotz der Hitze ignorieren wir die teuren Flughafentaxis und ziehen einen Fußmarsch zur Hauptstraße Das "Damah Hotel" mit Waschbecken auf dem Balkonund die Benutzung eines der zahlreichen und preiswerten Sammeltaxis Richtung Stadtzentrum vor.
Die Suche nach einer Unterkunft ist überaus ernüchternd: Das erste, vom Fahrer des Sammeltaxis als preiswert empfohlene Hotel in Zentrumsnähe ist eine üble Kloake - ein paar schmutzige, von Kakerlaken bevölkerte Zimmer mit stinkender Außentoilette in einem hässlichen Hinterhof. (Unsere Ansprüche sind alles andere als hoch angesetzt, doch irgendwo gibt es eine Schmerzgrenze !) Um mit dem schweren Gepäck nicht ziellos durch die beharrlich zunehmende Sonnenglut streifen zu müssen, teilen wir uns. Thomas bleibt mit der Ausrüstung im Schatten einer Hofeinfahrt; ich gehe auf die Suche nach einer halbwegs passablen Unterkunft. Erfreulicherweise muss ich nicht allzu weit gehen, um andere Hotels zu finden. Allerdings stellt es sich als schwierig heraus, ein gleichzeitig preiswertes und halbwegs sauberes Quartier zu bekommen. Letztlich mieten wir uns im "Damah Hotel" in der "Sharia Malik" ein. Lehmziegelgebäude auf Tuti-IslandDas Zimmer ist mit 25,- US$ nicht gerade billig, hat aber immerhin ein eigenes WC und eine winzige Dusche. (Das Waschbecken befindet sich - kein Witz ! - auf dem Balkon !)
Den Rest des Tages nutzen wir für erste Exkursionen durch Khartum: für einen Bummel durch das unglaubliche Gewimmel (das treffendere Wort wäre wohl Chaos), welches Tausende von Passanten, Hunderte "Fliegender Händler" und mehrere Dutzend dauerhupender Minibusse am "Souq al-Arabi", dem zentralen Platz vor der großen "Al-Kabir-Moschee" erzeugen; Das Grab des Mahdi in Omdurmanein erster Gang zur "Sharia al-Nil" - der nach dem lautstarken Markttreiben am Souq erholsam ruhigen Uferpromenade am Nil; einer Bootsfahrt zur sehr ländlich wirkenden Nil-Insel "Tuti" (die Sonne hat den Zenit inzwischen überschritten und das Thermometer zeigt kaum noch erträgliche 46°C an !) und schließlich sogar noch eine Fahrt mit dem Sammeltaxi vorbei am Zusammenfluss des Blauen und des Weißen Nils nach Omdurman, der Nachbarstadt Khartums, dem Zentrum des Mahdi-Kults.

14. / 15. April 2007  (Sa / So)

Einen Gutteil unserer Zeit in Khartum müssen wir der Suche nach diversen Behörden opfern. Eine ganze Liste gilt es abzuarbeiten, angefangen von der Meldestelle für Ausländer Sehr schwer zu finden: die Ausländer-Meldestellebis hin zum Tourismus-Ministerium, wo wir eine Fotogenehmigungen zu erhalten hoffen. (Wirklich erstaunlich dabei ist, dass es ein solches Ministerium überhaupt gibt - in einem Land, welches praktisch frei von jeder Art nennenswertem Tourismus ist !) Natürlich befindet sich kein einziges der benötigten Ämter an der uns von der Sudanesischen Botschaft in Deutschland benannten Adresse. Ziemlich erfolglos versuchen wir uns durch die zahllosen Verwaltungsgebäude Khartums durchzufragen, legen im Zuge einer kleinen Odyssee Dutzende Kilometer zu Fuß und noch viele mehr in Bussen und Taxis zurück, um schließlich und endlich eine unscheinbare Baracke mit einer verbeulten Blechtafel "Aliens Registeration Office" Formulare, Stempel, Gebühren - Bürokratie im Sudanund drei Plastikstühlen vor dem Eingang in einer namenlosen Nebenstraße der "Sharia Ali Abdul Latif" (zwei Straßenecken südlich der schwer bewachten und verbarrikadierten US-Botschaft) zu finden. Eine lange Warteschlange davor lässt uns Böses ahnen ...
Schneller als erwartet kommen wir an die Reihe - aber nur um (gegen eine Gebühr von 10,- Dinar) zwei Formblätter in die Hand gedrückt zu bekommen, mit der Aufforderung, selbige auszufüllen. Danach heißt es erneut warten. Immerhin bekommen wir nun Plätze im schmalen Korridor im Innern der Baracke angeboten. Die Gefahr, langsam aber stetig von der beinah senkrecht stehenden Sonne gegrillt zu werden, Auf der Postscheint damit vorerst gebannt. Eine knappe Stunde später kommen wir wieder an die Reihe - nur um zu erfahren, dass wir Kopien unserer Pässe benötigen. Ein Copyshop befindet sich zum Glück gleich nebenan. Mit den Kopien in der Hand stürmen wir - die Warteschlange diesmal ignorierend - kurz darauf ein drittes Mal die Amtsräume. Minuten später stehen wir wieder draußen - frustriert und ein wenig ratlos: Irgendein Schreiben unseres Hotels fehlt den Beamten noch - verdammte Bürokratie !
Während Thomas die Stellung hält, spurte ich quer durch Khartum zurück zum "Damah Hotel". Der Manager desselben weiß erfreulicherweise sofort was ich brauche und lädt mich, Vor dem Eingang zum Sudanesischen Nationalmuseumdie Wartezeit überbrückend, zum Tee ein. Eine weitere Stunde später - kurz vor Ablauf der Öffnungszeit - stehen Thomas und ich zum Viertenmal vor den Beamten der Ausländerbehörden - und endlich sind sie mit dem Stapel beschriebenen und bedruckten Papier, den wir übergeben, zufrieden. Die zu entrichtende Bearbeitungsgebühr erweist sich als extrem deftig: Zusammen sollen wir 16000,- Dinar (ca. 65,- €) entrichten ! Das ist unverschämt und zwingt uns zudem, Widderstatue im Sudanesischen Nationalmuseumein weiteres Mal durch die hitzeflirrenden Straßen der Stadt zu hetzen, um Bargeld zu wechseln ! (Kreditkarten und Reisechecks werden im Sudan nirgendwo akzeptiert.)
Das Nationalmuseum an der "Sharia al-Nil" ist die verhältnismäßig leicht zu findende Adresse für den Erwerb der Besuchserlaubnis aller entlang des Nils befindlichen archäologischen Stätten des Sudan. Wie wir hier erfahren, wurden im letzten Jahr die (bis dato ziemlich idiotischen) Regelungen für die Besichtigung der Örtlichkeiten gelockert, so dass wir die notwendigen Tickets jeweils vor Ort kaufen können. Logisch, dass wir bei dieser Gelegenheit gleich einen Blick in den Museumskomplex werfen (Eintritt: preiswerte 100,- Dinar = 0,40 €). Es gibt Exponate aus der Zeit der Königreiche von Kusch und Kerma, einige Kolossalstatuen sowie Fragmente nubischer Tempel zu bestaunen, doch Alles in Allem ist die Ausstellung - verglichen mit dem ägyptischen Pendant - eher bescheiden.

Bunte Scheine: eine Auswahl sudanesischer Banknoten16. April 2007  (Mo)

Genervt von der Hatz durch die Behörden beschließen wir, alle weiteren Ämter samt ihrer Stempel und Formulare zu ignorieren (hoffend, dass wir auch ohne die noch fehlenden Permits unsere Ziele im Lande erreichen) und Khartum schnellstmöglich den Rücken zu kehren. Mit dem Taxi bringt uns zum nördlichen Busbahnhof im Stadtteil Bahri. Am Fahrkartenschalter bekommen wir zum ersten Mal die Tücken des chaotischen sudanesischen Währungssystems zu spüren: Es gibt alte (inzwischen ungültige) Sudanesische Pfund (SDP), Unterwegs nach Meroe: Auf dem Busbahnhof von BahriSudanesische Dinar (SDD) sowie neue Sudanesische Pfund (SDG) in unterschiedlichen Scheinen und Münzen (1000 SDP = 100 SDD = 1 SDG (1 € ≈ 2,46 SDG - Stand: April 2007)). Händler verschlucken bei Preisangaben gerne die Währungsbezeichnung und lassen oft auch noch die Tausenderstellen weg. (Die Antwort "10" auf die Frage nach dem Preis könnte also 10 Dinar, 10 neue Sudanesische Pfund (= 1000 Dinar) oder auch 10 Tausend Dinar bedeuten !) Für Sudanesen stellt das kein großes Problem dar - sie kennen die gängigen Preise. Für uns bedeutet dies jedoch ein andauerndes Rätselraten um den Wert der Waren bzw. Dienstleistungen. Die meisten Händler erweisen sich als ehrlich, doch Schwarze Schafe gibt es - wie überall in der Welt - auch im Sudan: Meine Frage nach dem Fahrpreis bis Meroe wird von einem der Ticketverkäufer lapidar mit "1150" beantwortet. Noch nicht ganz sicher im Umgang mit der verwirrenden Vielfalt sudanesischer Banknoten Unterwegs nach Meroe: Umsteigen in Atbaraund völlig unwissend in Sachen Beförderungsentgelt, blättere ich nach und nach immer mehr Geldscheine hin - fast alles neue Sudanesische Pfund - und der Kassierer nimmt sie ohne mit der Wimper zu zucken entgegen. Atemberaubend schnell leert sich unser Reiseportemonnaie. Das macht mich stutzig; hatten wir doch gestern erst 200 € getauscht. Soviel kann eine Busfahrt hierzulande einfach nicht kosten ! Von anderen Passagieren werden wir aufgeklärt: Das Ticket kostet 1150,- Dinar (SDD) oder 11,50 Sudanesische Pfund (SDG) - also rund 4,70 €. Empört nehme ich dem Kassierer die zuviel gezahlten Banknoten wieder ab !
Die Busfahrt nach Norden führt direkt in die Wüste. Eine erstaunlich gut geteerte Straße folgt weitgehend dem Verlauf des Nils. Busse fahren erst, wenn sie wirklich voll besetzt sindRechterhand häufen sich Sand und Steine bis an den hitzeflirrenden Horizont, links windet sich - mal näher, mal weiter in der Ferne - das schmale Band aus staubigem Grün, welches den Verlauf des großen Stroms markiert. Stundenlange ändert sich an diesem Bild fast nichts. Mehrfach müssen wir Kontrollposten des sudanesischen Militärs passieren. Die damit verbundenen Aufenthalte könnte man fast schon als willkommene Abwechslung bezeichnen, Beduine in der Nubischen Wüstemüssten wir - als einzige ausländische Passagiere - dabei nicht jedes Mal aussteigen, um in winzigen stickigen Baracken Formulare auszufüllen, die wir in ähnlicher Art schon mehrfach in Khartum bekritzelt haben. Gute vier Stunden nach unserer Abfahrt passieren wir einen auffälligen Bergrücken, auf dem ganz eindeutig Pyramidenbauten zu erkennen sind. Aufgeregt frage ich den Fahrer, der keinerlei Anstalten macht anzuhalten, ob dies nicht Meroe - unser Ziel - sei. Nein, bis dahin ist es noch weit, lautet die knappe Antwort. Als wir weitere drei Stunden später die Stadt Atbara erreichen wird uns klar, dass irgendetwas furchtbar schief gelaufen ist.
Eigenartigerweise will uns jeder, den wir nach einer Busverbindung Richtung Meroe fragen, weiter in den Norden schicken. Auch wenn unsere Informationen über den Sudan sehr lückenhaft sind, eines wissen wir ganz genau: Ankunft in MeroeDas Pyramidenfeld von Meroe befindet sich ein ganzes Stück südlich von Atbara ! Das Missverständnis klärt sich schließlich auf: Es gibt eine Stadt am Unterlauf des Nils, deren Name "Merowe" dem der Ausgrabungsstätte extrem ähnlich klingt. Zudem bezeichnen die Einheimischen das uns als "Meroe" bekannte Gebiet meist nach dem in der Nähe gelegenen Dorf "Bajarawiya". Mit diesem Wissen ist es schließlich kein großes Problem mehr, eine Mitfahrgelegenheit in die richtige Richtung zu finden ...
Im letzten Licht der untergehenden Sonne erreichen wir erneut die Stelle, die wir vor Stunden schon einmal passiert haben: Die Pyramiden von Meroe - Grabmale der Herrscher von Kuschden von der Hauptstraße zwischen Khartum und Atbara recht gut zu sehenden, von Pyramiden gekrönten Bergrücken. Die von uns im Vorfeld als einfach eingestufte erste Etappe der Reise endet schließlich als abenteuerliche Kreuzfahrt in Bussen und Motorrikschas, auf der Ladefläche eines Pickups und ganz zum Schluss auf Schusters Rappen. Doch das Ergebnis zählt: Trotz aller Widrigkeiten sind wir am Ziel angekommen. Unser Zelt errichten wir im Wadi Tarabil unmittelbar vor den spitz aufragenden Pyramiden, den weithin sichtbaren Grabstätten der "Schwarzen Pharaonen" - was für ein außergewöhnlicher Platz !

Sonnenaufgang über dem Wadi Tarabil17. April 2007  (Di)

Die erste Nacht in der Wüste geht ohne nennenswerte Ereignisse zuende. Wie ein glühendroter Feuerball steigt die Morgensonne über die östlichen Hügel samt den darauf erbauten Pyramiden. Ein grandioses Schauspiel ! Noch während wir das Zelt abbauen erscheinen - wie aus dem Nichts - Kamelreiter im Wadi. Ohne lang zu zögern gesellen sich die Beduinen zu uns, um nach dem "Woher" und "Wohin" zu fragen. Um einiger guter Fotos Willen nehmen wir das Angebot der Wüstensöhne, unser Gepäck auf dem Rücken der Kamele weiter ins Pyramidenfeld transportieren zu lassen, an und bedanken uns mit einer Einladung zum gemeinsamen Frühstück: Ein Blick aus unserem Zelteinige Müsli-Riegel und ein paar Schlucke Wasser. Eine knappe Stunde später haben wir das Terrain wieder für uns alleine.
Den ersten Rundgang durch die gigantische Ansammlung antiker Grabmale absolvieren wir am zeitigen Vormittag. Noch steht die Sonne tief und die Temperatur ist halbwegs erträglich. Deutlich kleiner als ihre weltberühmten Gegenstücke in Ägypten stehen die Pyramiden von Meroe gleich Dutzendweise dicht an dicht im Sand der Nubischen Wüste. Spitz ragen sie in den wolkenlos blauen Himmel; uralt, einsam und vollkommen verlassen. Sanddünen unweit von MeroeGrabräuber haben einige der Bauten schwer beschädigt, andere wurden von deutschen Archäologen Ende der 70er Jahre aufwendig rekonstruiert. Torbauten und kleine Totentempel aus Sandstein oder Ziegeln bilden Vorhöfe zu etlichen der Pyramiden - die Wände stellenweise mit Reliefs aus der ägyptisch-nubischen Götterwelt geschmückt. Einige der Vorkammern stehen offen und bieten uns zwischenzeitlich Schutz vor der beständig erdrückender werdenden Sonnenglut. Die Außenwände der Bauwerke sind bizarr schraffiert; von Wind und Sand im Laufe der Jahrtausende unzählige Male geschliffen und poliert.
Mittagszeit: Als gleißend grelle Scheibe steht die Sonne im Zenit; 50,9°C - und nirgendwo ist Schatten !brennt erbarmungslos heiß auf alles herab, was nicht irgendwo unter Steinen oder Sand Schutz gefunden hat. Schatten gibt es nur, soweit die Krempen unserer Hüte reichen. Mein kleines Armbandthermometer zeigt irrsinnige 51°C an ! Und schon macht sich ein erstes grobes Manko in unsrer Reisevorbereitung bemerkbar: Wir haben viel zuwenig Wasser mit in die Wüste genommen. Mehr als fünf 1,5-Liter-Flaschen ließen sich aus eigner Kraft zusätzlich zu unsrer eh schon gewichtigen Ausrüstung nicht transportieren - und irgendwie waren wir stillschweigend davon ausgegangen, dass an einer so bedeutenden archäologischen Ausgrabungsstätte wie Meroe Händler mit - Pyramiden der nördlichen Gruppewenn schon nicht gekühlten, so doch wenigstens mit irgendwelchen Getränken präsent seien müssten. Pustekuchen ! Außer uns ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Schon jetzt ist knapp die Hälfte unserer Wasservorräte aufgebraucht, und Thomas zeigt bereits erste Anzeichen von Erschöpfung. Just als wir den Beschluss fassen, unseren Aufenthalt in Meroe vorzeitig abzubrechen, erscheit von - woher auch immer - doch noch eine Gestalt im weißen Kaftan zwischen den Pyramiden. Relief an der Ruine eines GrabtempelsWie sich zeigt ist es kein Händler, sondern der Wächter bzw. Verwalter des Gebiets, der eigentlich nur gekommen ist, die staatlich verordneten 10 US$ Eintrittsgebühr zu kassieren. Um die üblichen Formulare auszufüllen werden wir in eine Baracke am Rande des Pyramidenfelds gebeten und - es lebe die arabische Gastfreundschaft - zu Tee mit Minze eingeladen.
Den Nachmittag verbringe ich alleine zwischen Wüstensand und Pyramiden. Thomas zieht den Schatten der Wächterbaracke der gleißenden Wüstensonne vor. Auch mich kostet es gewaltige Überwindung, die kleine stickige Hütte wieder zu verlassen, doch die Neugier ist größer als die Vernunft: Noch gibt es viel da draußen, zwischen all den Pyramiden, zu entdecken ! Im Inneren eines GrabtempelsHeiß wie aus einem Backofen, schlägt mir die Luft beim Öffnen der Tür entgegen. Der aufgeheizte Sand reflektiert flirrend die Hitze und lässt gewaltige Luftspiegelungen entstehen. Plötzlich wirkt die Wüste wie ein weites flaches Gewässer aus dem Pyramiden und größere Steine wie kleine Inseln herausragen !
Eine unangenehme Überraschung erwartet mich bei unseren Kraxen. Früh morgens hatten wir diese in den Schatten eines der Grabmale gelegt. Nun stehen sie (wahrscheinlich schon seit Stunden) inmitten der Sonnenglut. Die schwarzen Außengestellrahmen haben sich inzwischen derart aufgeheizt, dass ich mir beim Versuch, die Teile in den Schutz eines offenen Totentempels zu tragen, die Finger verbrenne !
Eine gute Stunde vor Sonnenuntergang belebt sich die Szenerie plötzlich: Kinder und Jugendliche strömen in den Wadi - und auch Thomas taucht wieder auf. Wie wir bald erfahren ist Meroe ein beliebter Treffpunkt für frisch Verliebte. Kinder im Schatten der PyramidenHier, inmitten der Wüste und fernab der gestrengen Blicke islamischer Sittenwächter, hat so mancher Sudanese sein erstes Rendezvous. Dass es dabei nicht allzu zügellos zugeht, dafür sorgen die mitgereisten Kinder, die mit viel Geschrei die Aktivitäten der jungen Paare kommentieren.
1830 Uhr - ebenso spektakulär wie sie frühmorgens aufgegangen ist, geht die Sonne wieder unter. Den spitzen Zähnen eines gewaltigen Raubtiers gleich heben sich die Silhouetten der westlichen Pyramiden gegen einen orangerot leuchtenden Himmel ab. Nach und nach leert sich das Areal. Sonnenuntergang in MeroeSittsam laufen die Pärchen zurück Richtung Straße, gefolgt von der lärmenden Kinderschar. Mit Einbruch der Nacht gehört das Pyramidenreich wieder uns alleine. Im Licht unserer Stirnlampen bauen wir das Zelt auf und entfachen den Kocher. Von den uns umgebenden Grabmalen künden nur noch dunkle Umrisse vor einem grandiosen Sternenhimmel. Sand und Steine beginnen die tagsüber gespeicherte Hitze langsam abzustrahlen, so dass es nur ganz allmählich kühler wird. Bei Tee, Fladenbrot und Ziegenkäse sitzen wir noch lange auf einer der Pyramiden und genießen die exotische Atmosphäre ...

18. April 2007  (Mi)

Unser Zeltplatz im Licht der MorgensonneRot scheinen die steil aufragenden Wände der Pyramiden im Licht der Morgensonne zu erglühen. Ohne unnütz Zeit zu vertrödeln brechen wir unser Lager im Wadi Tarabil ab und begeben uns auf den Rückweg Richtung Straße. Am Rande des Pyramidenfeldes treffen wir auf einen Beduinen, der sich für 300,- Dinar (knapp 1,20 €) gern bereit erklärt, unsere Kraxen auf seinem Kamel zu transportieren. Bis zur Straße nach Atbara ist es nicht allzu weit. Per Anhalter wollen wir dort unser Glück versuchen - hoffend, dass diese Art der Fortbewegung hierzulande bekannt und akzeptiert ist. Schnell zeigt sich, dass unsere diesbezüglichen Bedenken vollkommen unbegründet sind, Aufbruch - Abschied von Meroedenn schon das erste Fahrzeug auf der alles Andere als dicht befahrenen Trasse hält an, um uns mitzunehmen. Auf der offenen Ladefläche des LKWs sitzen bereits fünf Mitfahrer auf Getreidesäcken: Araber in blütendweißen Dschellabiyas (kaftanartige lange Obergewänder), die uns wortreich an Bord begrüßen. Beim Anblick der blitzsauberen Gewänder der Einheimischen stellt sich mir zum wiederholten mal die Frage, wie sie es schaffen, in einem so heißen staubigen Land, allzeit sauber und gepflegt auszusehen !? Wir jedenfalls sind von der Schuhspitze bis zu den Haaren dick mit feinem roten Staub bedeckt ! Die Fahrt auf dem LKW ist angenehm - der Fahrtwind kompensiert prächtig die schon längst wieder herrschende Tageshitze Auf dem LKW nach Atbaraund die Schaukelei lässt uns bald eindösen ...
Schneller als erwarten erreichen wir Atbara, die Stadt der wir vor zwei Tagen schon einmal unfreiwillig einen kurzen Besucht abgestattet hatten. Der Fahrer des LKWs setzt uns mitten im Zentrum ab. Kaum haben unsere Füße den staubigen Boden Atbaras berührt, kommen auch schon die ersten Bewohner herbeigeeilt, uns zu begrüßen, herzlich die Hände zu schütteln und die allerorts so beliebten Fragen nach dem Woher & Wohin zu stellen. Eh wir uns versehen sind wir zum Tee und schließlich sogar zum Essen eingeladen !
Die Suche nach einer Unterkunft erweist sich als schwierig: Es gibt nur wenige Herbergen in der Stadt. Arabische Gastfreundschaft: Imbiss in AtbaraDie meisten davon sind zudem bereits durch sudanesische Reisende belegt. Schließlich mieten wir uns in einem kleinen, arg heruntergekommenen Hotel unweit des Gemüsemarktes ein. Das Zimmer ist schmutzig und die Gemeinschaftstoilette widerlich - aber was soll's, wir benötigen das Quartier ja nur für eine Nacht. Immerhin bekommen wir - auf wiederholte Nachfrage beim Hoteleigner - frische Bettlaken ausgehändigt ...
Den Rest des Tages verbringen wir auf dem Basar von Atbara. Auf einem weiten Areal im Stadtzentrum haben sich zahllose Händler Kaffeeröster auf dem Basar von Atbarakleine hölzerne Stände eingerichtet oder bieten ihre Waren direkt vom Erdboden feil. Provisorische Dächer aus Leinentüchern schützen vor der stechenden Sonne. Eselskarren dienen als universelles Transportmittel. Zu kaufen gibt es fast alles: frisches Obst und Gemüse, Fladenbrot und andere Lebensmittel, Gewürze, Haushaltwaren, Kleidung, Schuhe und vieles mehr. Überall werden wir freundlich begrüßt, mehrfach sogar zu Tee oder Kaffee eingeladen. Auch an Fotomotiven mangelt es nicht: hier ein Eselskarren voller Eier, dort ein Obststand mit kunstvoll zu Pyramiden gestapelten Orangen und an der nächsten Ecke ein Kaffeeröster, der die aromatischen Bohnen in einer Blechtonne über offenem Feuer zubereitet.

19. April 2007  (Do)

Frisch versorgt mit Reiseproviant und Obst vom örtlichen Markt Marktstände in Atbarabegeben wir uns auf die Suche nach einer Mitfahrgelegenheit Richtung Karima. Wie wir gestern bereits erfahren haben, befindet sich südlich des Zentrums ein Platz, von dem aus Sammeltaxis (sogenannte "Boksi") und Minibusse ("Hafla") die Ortschaften am Unterlauf des Nils bedienen. Fahrpläne gibt es erwartungsgemäß keine. Die Fahrzeuge fahren sobald alle Sitzplätze belegt sind. Wir haben Glück: Einer der wartenden Minibusse ist fast voll. Bereitwillig lassen wir uns von einem Ausrufer zu dem Fahrzeug geleiten. Unsere Kraxen werden vom Fahrer und einem Helfer auf dem Dach verschnürt. Wir belegen die letzten beiden freien Plätze im Bus, entrichten den Fahrpreis von 3500,- Dinar (rund 14,- €) direkt an den Fahrer und los geht's - Die Nilfähre bei Atbarazuerst einmal zur Anlegestelle der Nilfähre von Atbara.
Die Überfahrt über den breiten Strom ist das erste Abenteuer des Tages. Eine relativ große Pontonfähre pendelt zwischen östlichem und westlichem Flussufer. An der Böschung, die hinab zur sehr provisorisch wirkenden Anlegestelle führt, staut sich der Verkehr: zwei weitere Minibusse, ein überaus marode wirkender LKW, mehrere voll beladene Eselskarren, ein gutes Dutzend Fußgänger und ein Hirte mit einer kleinen Herde Ziegen Auf der "Brücke": der Käpt'n der Nilfährewarten geduldig auf die Ankunft der Fähre. Wir verbringen die Wartezeit auf der Uferböschung, die einen wunderbaren Blick über das geschäftige Treiben rund um die Anlegestelle gewährt. Die Fähre legt an. Das Ent- und Beladen des Schiffs verläuft chaotisch. Trotzdem dauert es nur wenige Minuten, bis die Fähre wieder abfahrtbereit ist. Als letzte Passagiere springen wir mit an Bord und mischen uns unter das bunte Durcheinander aus Menschen, Eseln, Ziegen, Minibussen, Fahrrädern und sonstiger Fracht. Die Überfahrt dauert fast 20 Minuten. Danach geht es weiter im Minibus - zuerst ein kurzes Stück durch die Schatten spendenden Palmenhaine in unmittelbarer Nähe des Nils und schließlich hinein in die vor Hitze flimmernde Sandwüste.
Die viele Stunden währende Fahrt durch die Nubische Wüste wird zu einer unglaublichen Pein. Der Minibus schlingert auf der waschbrettartigen Sandpiste durch eine Einöde, die trostloser kaum sein kann. Im Minibus durch die Nubische WüsteDer schmale Streifen Grün, den der Nil durch diesen Vorhof der Hölle zieht, verschwindet bald hinter dem Horizont. Viel zu schnell scheint die Welt nur noch aus Sonnenglut und orangerotem Sand zu bestehen. Beim Blick aus den schmutzigen Fenstern des Busses drängen sich einem unweigerlich beunruhigende Gedanke auf: Was wenn plötzlich der Motor streikt ? Was wenn ein Reifen platzt oder die Räder im lockeren Sand stecken bleiben ? Einige wenige kahle Hügel, die aus der ansonsten brettflachen Ebene aufragen, bieten dem Auge nicht wirklich Abwechslung. Hin und wieder bedeckt blaugrauer Schotter weitflächig die Sandfläche, doch der Fahrer meidet diese Steinfelder Eine einsame Hütte inmitten der Einöde - die "Raststation"und schindet den Bus lieber weiter durch den losen Sand. Minuten dehnen sich zu Stunden. Nichts - rein gar nichts - eignet sich als Maßstab, um Entfernungen bestimmen zu können; um einzuschätzen, wie lang die Fahrt noch dauern wird. Die größte Abwechslung sind ganz vereinzelt wachsende kahle Büsche, die - wie auch immer - in diesem lebensfeindlichen und knochentrockenen Landstrich ihr Dasein fristen. Die gleißende Sonne heizt den Fahrgastraum in kürzester Zeit saunaartig auf. Feinster Staub, der schnell den Weg durch die kleinsten Ritzen findet, macht das Atmen bald zur Qual. Einige der Fahrgäste versuchen durch öffnen der Fenster frische Luft ins Fahrzeuginnere zu leiten und erreichen damit bloß das Gegenteil. Am Ziel: der Dschebel Barkal bei KarimaInnerhalb von Sekunden ist die Luft in der Kabine derart staubgeschwängert, dass wir uns kaum noch gegenseitig sehen können. Unglaublich dass der Fahrer unter diesen Umständen überhaupt noch erkennt, wo er hinfährt ...
Nach uns unendlich lang erscheinenden fünf Stunden steuert der Fahrer eine winzige, einsam in der Weite stehende Lehmhütte an. Pause ! Gegen wenige Dinar bekommen wir stark gesüßten Tee und Fladenbrot mit Ful - ein gut gewürztes Gericht aus eingedickten Bohnen mit Olivenöl und Schafskäse - serviert. Anschließend werden die Saugschläuche zweier Wasserpfeifen herumgereicht. Fahrer und Händler beginnen ein reges Palaver, dass sich augenscheinlich um uns - die "Khawadscha" - Pyramiden bei Karimadie Fremden - dreht. Wir werden abermals zum Tee eingeladen und nach unserer Herkunft und den aktuellen Verhältnissen in Deutschland befragt.
Eine halbe Stunde später drängt der Fahrer zum Aufbruch. Stotternd springt der Motor des Minibusses an und weiter geht die Höllenfahrt gen Westen. Meine Frage, wie weit es denn noch sei, wird lachend mit "Half way" - halbe Strecke - beantwortet. Unsere mit den anderen Passagieren mühsam in gebrochenem Englisch geführte Unterhaltung erstickt schnell wieder in Staub und Hitze. Apathisch lassen wir die folgenden Stunden an uns vorbeiziehen - Vollkommen durchgerüttelt & eingestaubt - Ankunft in Karimanur noch darauf hoffend, bald das Ziel zu erreichen.
Einen gewaltigen, gute 250 Kilometer durchmessenden Bogen schlägt der Nil um die Bayuda Wüste im nördlichen Teil des Sudans, ehe er Richtung Ägypten abschwenkt. 250 Kilometer - das sind (wenn man nicht gerade mal wieder im Stau steht) zwei Stunden auf einer deutschen Autobahn, die einem mitunter schon recht lang vorkommen können. Holpert man mit kaum mehr als 30 km/h über eine öde Wüstenpiste, kommen einem 250 Kilometer wie eine Reise zum Ende des Universums vor. In der Enge des Busses beginnen langsam die Gelenke zu schmerzen; Staub verklebt Augen und Nase, Sand knirscht zwischen den Zähnen und vermischt sich mit dem in Strömen fließenden Schweiß zu einer salzigen Kruste auf der Haut. Lethargisch warten wir auf das Ende der Fahrt - Stunde um Stunde. Dann endlich: "An-nil, an-nil, al-amdu li-llah !" - es dauert eine Weile bis wir begreifen, was der Ruf des Fahrers zu bedeuten hat. Unterwegs in KarimaVor uns, durch all den Staub nur schwer zu erkennen, stehen Palmen ! Und dort glitzert auch Wasser im Sonnenlicht. Ganz langsam beginnt das Hirn wieder seine Arbeit aufzunehmen: Wir haben den jenseitigen Nilbogen erreicht ! Der schlimmste Teil der Fahrt liegt hinter uns - allahu akbar !
Wie schon bei Atbara setzen wir auch diesmal auf einer betagten Pontonfähre über den träge dahinziehenden Strom. Am gegenüberliegenden Ufer existiert - welch unerwarteter Luxus - eine schmale Teerstraße, die exakt der Grenze zwischen Niloase und Wüste Richtung Nordosten folgt. Nach wenigen Kilometern kommt ein auffälliges, weil einsam in der flachen Landschaft stehendes Felsplateau in Sicht: der "Dschebel Barkal" - der "Heilige Berg" - In den Straßen von Karimaeinstmals von Ägyptern und Nubiern als Sitz der Gottheit Amun verehrt, war er ein Machtzentrum der Schwarzen Pharaonen von Kusch. Für uns markiert er das nächste Etappenziel unserer Reise durch den Sudan. Vorbei an einer Gruppe kleinerer, sehr gut erhaltener Pyramiden führt die Straße hinein in die Wüstenstadt Karima - dem vorläufigen Endpunkt dieser strapaziösen Fahrt.
Unser Gepäck sieht aus wie durch die Mangel gedreht: verbeult, verbogen, vollkommen eingestaubt - genau wie wir. Doch zum Lamentieren bleibt keine Zeit. Erst einmal gilt es die wichtigsten Obliegenheiten für einen mehrtägigen Aufenthalt zu erledigen; zu allererst eine halbwegs passable Unterkunft zu finden. Noch unbedarft was die Orientierung in der Stadt betrifft, Das "Al Nassr Hotel" in Karimalassen wir uns von einem Rikschafahrer die wenigen Unterkünfte Karimas zeigen. Erfreulich schnell können wir ein akzeptables Quartier ausmachen: das "Al Nassr Hotel" an der Sharia El Shamalia. Das Hotel ist kaum mehr als ein ummauerter Innenhof mit einer Handvoll einfacher Zimmer in kleinen Flachbauten - aber es ist leidlich sauber. Duschen und Toiletten befinden sich in gemauerten Verschlägen, und die meisten Betten stehen im Freien unter einem improvisierten Sonnendach (was bei den vorherrschenden Temperaturen gar keine so üble Sache ist). Wir ziehen es dennoch vor, in eines der etwas teureren verschließbaren Zimmer einzuziehen - allein schon wegen des Reisegepäcks. Teestube in der Sharia El ShamaliaNach kurzem Handeln einigen wir uns mit dem Eigner der Herberge auf 2000 Dinar pro Nacht (ca. 8,- €) und beziehen unsere Bleibe für die kommenden vier Nächte.
Während Thomas die nähere Umgebung erkundet, begebe ich mich, bewaffnet mit unseren Reisepässen, auf die Suche nach dem örtlichen Sitz der Staatsmacht, um unsere Anwesenheit amtlich registrieren zu lassen. Die Polizeistation befindet sich in einer unscheinbaren Baracke in einer namenlosen Straße unweit des lokalen Fußballplatzes. Nur eine träge vom Mast hängende sudanesische Fahne lässt mich das schäbige Gebäude überhaupt erst als Behörde erkennen. Teeverkäuferin in KarimaIn einem schmucklosen Amtsraum döst ein einzelner Polizist vor sich hin. Aufgeschreckt durch mein unerwartetes Erscheinen erledigt der Ordnungshüter die vollkommen überflüssigen Formalitäten mit großem Eifer: Sorgfältig kontrolliert er unsere Pässe, notiert unsere Namen und die Daten der Aufenthaltsgenehmigung in einem Buch und wünscht im Anschluss sogar noch einen angenehmen Aufenthalt in Karima ! Ich bin wahrhaftig überrascht - sollte es in diesem Land tatsächlich auch freundliche Beamte geben !?
Karima ist größer als der erste Eindruck vermuten lässt. Schnurgerade verlaufen die sandigen, meist unbefestigten Straßen, vorbei an flachen Lehmbauten, die im Zentrum dichtere, zum Ortsrand weitläufigere Karrees bilden. Abendessen in einer GarkücheBeim abendlichen Rundgang durch die Stadt lenken wir unsere Schritte unwillkürlich gen Süden, wo hinter der Stadt der weithin sichtbare Dschebel Barkal aufragt. Obwohl das Felsplateau greifbar nahe scheint, dauert es lang bis wir die letzten Häuser hinter uns gebracht haben. Aus der Nähe betrachtet wirkt der Berg riesig. Nach Norden, Osten und Süden fallen die Wände steil, fast senkrecht ab. Nur von Südwesten her scheint er leichter besteigbar zu sein - doch dies zu testen reicht die Zeit heute leider nicht mehr aus. Der Sonnenuntergang steht unmittelbar bevor, und wir können froh sein, die kleine Pyramidengruppe, die wir bei unserer Ankunft nahe der Hauptstraße gesehen haben, noch bei Tageslicht zu erreichen.
Lange nach Einbruch der Dunkelheit sind wir zurück in der Sharia El Shamalia. Mit der tagsüber eher öde wirkenden Straße hat sich in den Abendstunden eine beeindruckende Wandlung vollzogen: Gemüsehändler in KarimaAllerorts haben Garküchen geöffnet, brutzelt frisches Ziegenfleisch über offenen Feuerstellen, köchelt Ful in großen Krügen. Männer in weißen Dschellabiyas sitzen vor den Lokalen, trinken Tee und rauchen Wasserpfeife. Frauen, in bunte Tücher gehüllte, bereiten für wenige Dinar gewürzten Tee oder Kaffee zu und fliegende Händler bieten Erfrischungen feil. Wir ordern eine gehörige Portion Ful mit Ziegenkäse und träumen von einem gut gekühlten Bier als Zugabe. Doch Alkohol ist in Karima wie im gesamten nördlichen Sudan ein absolutes Tabu - und so halten wir uns notgedrungen mit süßem Tee und Mangosaft bei Laune ...

Im Zentrum von Merowe20. April 2007  (Fr)

Viel haben wir uns für heute vorgenommen - und entsprechend früh brechen wir auf, versorgen uns mit Proviant vom Markt und nehmen einen der unregelmäßig verkehrenden Minibusse zur Nilfähre Richtung Merowe. Die Überfahrt auf der uns schon bekannten Pontonfähre ist für Passagiere kostenlos. Nur für die zu transportierenden Fahrzeuge wird eine geringe Gebühr erhoben. Wie üblich ist die Fahrt über den großen Strom ein Erlebnis, welches diesmal sogar noch gesteigert wird, da wir hoch auf die "Brücke" zum Steuermann der Fähre gebeten werden. In Merowe angekommen, versuchen wir per Anhalter weiter nach Nuri - einem großen, südlich des Nils gelegenen Pyramidenfeld - zu gelangen. Doch es kommt anders als geplant. Noch während wir uns nach einer Mitfahrgelegenheit umschauen bricht Thomas plötzlich zusammen. Kreislaufkollaps ! Amphoren mit frischen NilwasserKein Wunder - das Thermometer steht schon wieder auf unheimlichen 43°C ! Fieberhaft versuche ich meine aufkommende Panik niederzuringen und Thomas in den Schatten einer nahegelegenen Mauer zu bugsieren. Zu meiner großen Erleichterung kommt er schnell wieder zu sich, wirkt aber noch stark benommen und taumelig. Und weit und breit ist kein Mensch zu sehen, der helfen könnte ... dafür aber einer der hier üblichen Wasserspeicher: Nur einen Steinwurf entfernt steht eine kleine offene Lehmhütte mit großen tönernen Amphoren, die regelmäßig mit frischem Nilwasser befüllt werden. Das Wasser sieht ein wenig trübe aus, ist aber dank der Eigenverdunstung angenehm kühl und - wie wir im Selbstversuch in Atbara bereits herausbekommen haben - durchaus bekömmlich. Nach einigen Schlucken geht es Thomas wieder besser. An die Fortsetzung unseres Tagesprogramms ist trotzdem nicht zu denken.Eselskarren im nördlichen Sudan
Der Weg zurück zur Fähre ist weniger strapaziös als ich befürchtet hatte. Schon nach kurzer Zeit überholt uns ein mit einer Blechtonne beladener Eselskarren. Ein kleiner Junge, der just mit der Aufgabe betraut ist, das örtliche Wasserreservoir zu befüllen, nimmt uns bis zur Anlegestelle mit. Die Wartezeit bis zur nächsten Fähre verbringen wir im Schatten einiger Palmen. Eine ältere Frau hat hier ihre kleine mobile Teestube aufgebaut. Und da der Tee gut und preiswert ist und es unglaublich fasziniert, die Alte zu beobachten, die mit gerade mal drei Stücken Holzkohle ihre Wasserkessel permanent am Köcheln hält, lassen wir die Fähre Fähre sein und bleiben noch etwas länger sitzen ...
Viel eher als geplant sind wir schließlich zurück in Karima. Südliche Pyramidengruppe am Dschebel BarkalIch bringe Thomas in die Unterkunft, wo er sich den Rest des Tages erholen kann, und nehme - zum ortsüblichen Tarif von 300 Dinar (rund 1,20 €) - eine Rikscha zum Dschebel Barkal, den ich diesmal zu erklimmen gedenke. Eine gewaltige, an die Südwand des Berges gewehte Sanddüne gaukelt jedem Besucher vor, dass dies ein Kinderspiel sei; doch der Anstieg ist steil, der Sand locker, und für jeden Schritt nach oben rutscht man mindestens einen halben wieder zurück nach unten. Zu meiner Überraschung bin ich nicht der einzige Kletterer am Berg. Ganz im Gegenteil: Halb Karima scheint sich auf den Weg zum Gipfel begeben zu haben ! Den Grund dafür erfahre ich schnell von einem der vielen Einheimischen: Sonnenuntergang am Dschebel BarkalWir haben Freitag - den moslemischen Feiertag - den viele Ortsansässigen für einen Besuch am Heiligen Berg nutzen. Inmitten einer Gruppe Sudanesen erreiche ich schweißgebadet das erstaunlich große, die Wüste weit überragende Felsplateau. Ein herrliches Panorama mit der Wüstenstadt Karima im Norden, der langgezogene Niloase im Südosten und den schier endlosen Dünen der Nubischen Wüste im Westen sowie ein alles umfassender Blick auf die tief unten am Fuß des Berges gelegenen Pyramiden und Ruinen des antiken Amun-Tempelkomplexes sind wunderbarer Lohn und Ausgleich für die Mühen des Aufstiegs.
Gemeinsam mit gut 50 Einheimischen verbringe ich den Rest des Nachmittags auf dem Dschebel, genieße den Ausblick und harre bis zum Sonnenuntergang aus. Zwei antike Säulen am Fuß des Dschebel BarkalIm dämmrigen Rot des letzten Tageslichts steigen wir im lockeren Pulk hinab in die flache Wüste und laufen zurück Richtung Karima, wo Thomas bereits mit Tee und einer stattlichen Portion Ful in einer der vielen kleinen Garküchen der Sharia El Shamalia auf mich wartet.

21. April 2007  (Sa)

Was tun ? Einen zweiten Anlauf zu den Pyramiden von Nuri oder doch lieber zur Nekropole von el-Kurru ? - so lautet die erste Frage des Tages. Beim Hotelier erkundigen wir uns nach Fahrgelegenheiten zu beiden Zielen und den gängigen Tarifen für die ins nähere Umland fahrenden Sammeltaxis und erfahren dabei so ganz nebenbei, dass der Fahrer eines „Hafla” - eines Minibusses - um die 3500-4000 Dinar (also etwas über 15 €) pro Tag verdient. Aus diesem Wissen ist schnell eine Idee geboren - Die sandige Piste zwischen Karima und el-Kurruein Gedanke der uns die übliche Warterei und mehrfaches Umsteigen ersparen könnte ...
Die Sammelstelle der Hafla liegt unweit des Markts im Zentrum von Karima und somit kaum zehn Fußminuten von unserer Herberge entfernt. Schnell finden wir einen Fahrer, der passables Englisch spricht und unseren Vorschlag, einen kompletten Tag nur für uns zu fahren, interessant findet. Natürlich geht hierzulande nichts ohne theatralisches Gefeilsche, doch schließlich einigen wir uns auf 3800 Dinar - Benzingeld inklusive. Alle sind zufrieden; wir haben ein bequemes Verkehrsmittel mit ortskundigem Chauffeur und der Fahrer einen leicht verdienten Tageslohn ! Marabouts - islamische HeiligengräberGut gelaunt besteigen wir den dunkelblauen Minibus und verlassen die Wüstenstadt Richtung Südwesten, passieren den Dschebel Barkal und die Pyramiden von Napata und folgen dem Verlauf des Nils stromabwärts. Linkerhand zieht die Niloase an uns vorbei, rechts bröckeln halbverfallene Lehmhäuser im rauen Wüstenklima vor sich hin. Eselskarren holpern über die Straße und Kinder treiben Kamele und Ziegen hinab zum Flussufer. Hinter dem Abzweig zur Nilfähre endet der schmale Streifen Teer; wird abgelöst von einer holprigen Sandpiste. Die letzten Lehmhäuser - jämmerlich aussehende Ruinen - bleiben hinter uns zurück. Sand, Stein, dürres Gestrüpp und hin und wieder das träge dahin ziehende Wasser des Nils bestimmen das Blickfeld für die nächste halbe Stunde.
Ankunft an der Nekropole von el-KurruMarabouts - kegelförmige Grabbauten heiliger Männer - künden davon, dass wir uns einer Siedlung nähern: El-Kurru liegt vor uns ! Das Minarett einer stattlichen Moschee taucht hinter Palmen auf, Häuser aus Lehmziegeln formieren sich zu einer winzigen Ortschaft. In den schmalen Gassen und Höfen trocknen frisch geformte Lehmziegel in der Sonne; künden davon, dass die aus Nilschlamm geformten Häuser permanent ausgebessert werden müssen. Umar - unser Fahrer - kennt sich im Ort bestens aus. Stolz erzählt er uns, dass der Schlüsselmeister der antiken Anlagen von el-Kurru ein Cousin von ihm sei.
Die Nekropole von el-Kurru befindet sich unmittelbar hinter dem Dorf. Die letzte Pyramide von el-KurruVor einer verrosteten Blechtafel, der man nur noch mit viel Fantasie die Botschaft entnehmen kann, dass das dahinterliegende Areal unter Verwaltung des sudanesischen Tourismus-Ministeriums steht, erwartet uns der von Umar telefonisch herbeigerufene Verwalter. Wir entrichten die staatlich festgesetzte Eintrittsgebühr von 10 US$ - und los geht die Führung. Erwartungsgemäß sind wir die einzigen Besucher weit und breit. Der erste Eindruck des Geländes ist ernüchternd: Das Zentrum bildet eine große, stark verwitterte Pyramide - mehr einem formlosen Haufen aus Sand und Gestein ähnelnd, denn einem antiken Bauwerk - und darum herum ... nichts ! Nun ja, scheinbar nichts. Beim Näherkommen entdecken wir dann doch etwas: Gräben ! Der Eingang zum Grab von König TanotamunSchächte, die mehr oder weniger steil in das unter dem Wüstensand verborgene Felsgestein führen; Eingänge zu Jahrtausende alten Grabanlagen, die einst wohl ebenfalls unter Pyramidenbauten verborgen waren. Einige der unterirdischen Gräber stehen offen, andere sind durch Ummauerungen und Türen gesichert. Zielstrebig führt uns der Schlüsselmeister zu einem der ummauerten Grabeingänge und zelebriert das Öffnen des Tores durch ausgiebiges Suchen des passenden Schlüssels aus einem beachtlichen Sammelsurium verschiedenartiger Schlüssel. Schließlich öffnet sich die Tür (ohne das von uns erwartete lautstarke Knarren ;o)) Der Einstieg zum Grab der Königin Qalhataund gibt den Blick auf eine in die Tiefe führende Treppe frei. Ein schmaler Streifen Licht entreißt der Dunkelheit einen Teil des Ganges: Ein kunstvoll aus Lehmziegeln gemauertes Gewölbe überdeckt eine in Sandstein gehauene Treppe. Das Grab von Tanotamun, dem letzten Pharao der 25. Dynastie, liegt vor uns. Im Dämmerlicht unserer Taschenlampen steigen wir hinab bis zu einer weiteren gut verschlossenen Gittertür, dahinter beginnt die eigentliche Krypta. Sowohl der etwas kleinere Vorraum als auch die Grabkammer an sich sind leer - von Grabräubern geplündert erfahren wir. Dafür sind Wände und Decke mit prachtvollen Malereien verziert. In rotbrauner und gelber Farbe gehaltene Darstellungen altägyptischer Götter, formvollendet gezeichnete Hieroglyphen und Bilder des Pharaos schmücken die Wände, ein Firmament aus gelben fünfzackigen Sternen das tonnenförmig gewölbte Dach der Gruft. Ein blauer Sternenhimmel über der Grabkammer von Königin QalhataBeeindruckend ! Ein echtes Schmuckkästchen, das da unter dem Sand der Nubischen Wüste verborgen liegt. Ein zweites Grab, welches wir im Anschluss besuchen dürfen, gehört Königin Qalhata, der Mutter von Tanotamun. Zugang und Grundriss der gleichfalls leeren Grabkammern ähneln denen des Pharaonengrabs. Auch hier dekorieren Bilder aus der ägyptischen Götterwelt, Hieroglyphen und Illustrationen der Königin die Wände. Die Attraktion jedoch ist die blau getünchte, mit großen goldgelben Sternen verzierte Gewölbedecke.
Die Sonne steht noch fast im Zenit, als wir die Nekropole, die - wie wir nun wissen - weit mehr zu bieten hat, als der erste Eindruck vermuten lässt, verlassen. Umar, unser Fahrer, gibt uns zu verstehen, dass wir nun Gäste seines Cousins, des bis Dato ehe wortkargen Schlüsselmeisters von el-Kurru, sind. Wandmalereien im Grab von TanotamunEhrlich überrascht und ein wenig überrumpelt versuchen wir dankend abzulehnen, passt doch ein aufwendiges Essen mit anschließendem Palaver so ganz und gar nicht in unseren Zeitplan; doch gegen arabische Gastfreundschaft ist kein Kraut gewachsen. Im Zickzack führt uns Umar durch die schmalen, staubigen Gassen des bewohnten Teils von el-Kurru. Der Ortsrundgang endet in einen lehmziegelummauerten Innenhof, in welchem Musa - der Verwalter der Nekropole, der offensichtlich eine Abkürzung genommen hat - bereits auf uns wartet. Im Schatten eines Baldachins liegt ein Bastteppich für uns bereit. Ein Plastikkanister mit frischem Wasser wird herumgereicht und eine Schüssel mit Ful sowie ein Tablett voller Fladenbrote und frischem Knoblauchs laden zum Zugreifen ein. Wandmalereien im Grab von Königin QalhataWährend des Essens wird Musa etwas gesprächiger. Wir erfahren so einiges über die Geschichte el-Kurrus und das Leben in der Wüste und müssen dafür über Deutschland und unsere Reise durch den Sudan berichten.
Viel später als gedacht verlassen wir el-Kurru. Für einen Abstecher zu den Pyramiden von Nuri ist es inzwischen zu spät. In aller Gemütlichkeit lassen wir uns statt dessen von Umar zurück in Richtung Karima chauffieren, verweilen unterwegs mehrfach, um ein Stück durch die schattenspendenden Palmenhaine längs des Nilufers zu spazieren und laden unseren wackeren Fahrer zum Abschluss noch zu Tee und Gebäck in eine der vielen kleinen Teestuben Karimas ein. Zu Gast bei Musa - dem Verwalter der NekropoleWieder zurück in der Herberge erwartet uns derweil eine böse Überraschung: Unsere morgens sorgfältig verschlossene Zimmertür steht offen; ein Teil des Reisegepäcks liegt verstreut in der Kammer auf Boden und Betten. Wir sind fassungslos, gab es doch bisher keinen Grund, den Menschen hierzulande zu misstrauen ! Während Thomas den Hoteleigentümer herbeiruft, führe ich eilig eine erste Bestandsaufnahme durch. Nichts scheint zu fehlen - halleluja ! Offensichtlich wollte da nur irgendjemanden wissen, was wir in unseren großen Rucksäcken so durchs Land tragen. Der inzwischen herbeigeeilte Hoteleigener ist beim Anblick des Chaos‘ sichtlich bestürzt. Junge Frauen in el-KurruWieder und wieder beteuernd, dass es so etwas in seinem Hotel noch nie gegeben habe, besteht er darauf, uns das im Voraus gezahlte Übernachtungsentgelt zu erstatten. Zudem werden wir - quasi als doppelte Wiedergutmachung - zum Abendessen eingeladen.

22. April 2007  (So)

Unser dritter Tag in Karima ... Die allmorgendlichen Rufe des Muezzins ersetzen mal wieder ganz prima den Wecker. Eine knappe Stunde nach Sonnenaufgang herrscht in den Marktstraßen der Stadt rege Geschäftigkeit. Händler bieten Korn und Gemüse feil; Zu Gast beim Besitzer des „Al Nassr Hotel”ein Karren mit ofenfrischen, verlockend duftenden Fladenbroten quietscht durch die Gassen; ein Hauch von frisch gemahlenen Gewürzen liegt in der Luft. Es ist wahrlich nicht leicht, unbeeindruckt von diesem orientalischen Flair zu bleiben ! Doch die Zeit drängt. Wir haben ein anderes Ziel - und um dies zu erreichen benötigen wir noch einmal Umar und seinen Minibus. Der Sammelplatz der Hafla ähnelt um diese Tageszeit einem Ameisenhaufen. Menschen und Minibusse - alles ist in Bewegung. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass Umar gerade jetzt hier ist ? Noch während wir über unsere Chancen, den Fahrer zu finden, philosophieren, ertönt nicht weit von uns ein Ruf: „Salām alaikum ashdiqā ! Hello Friends !” Grinsend steht Umar neben uns, erneut ein gutes Geschäft witternd.
Unser Tagesziel zu beschreiben erweist sich diesmal als schwierig. Als Umar schließlich begreift wohin es gehen soll, verfinstert sich sein Gesicht: Die Katarakte - allāhu akbar ! Die sind doch viel zu weit draußen in der Wüste. Umar und sein blauer Hafla Marke „Daewoo Damas”Soweit sei er noch nie gewesen - und außerdem müssten wir durch das Sperrgebiet - wegen des großen Nil-Staudamms, der dort gerade gebaut wird. Dies sei absolut unmöglich ! Doch nach einer alternativen Mitfahrgelegenheit will uns das Schlitzohr auch nicht suchen lassen. Wild gestikulierend kommt er uns hinterdrein und willigt schließlich ein, uns auch heute als Fahrer zur Seite zu stehen - vorausgesetzt wir zahlen neben dem letztens vereinbarten Tagespreis auch noch die zusätzliche benötigte Tankfüllung. Lachend besiegeln wir das Geschäft mit Handschlag. Den Proviant für die Tour besorgen wir uns auf dem benachbarten Basar. Umar, der sich auch gleich als Koch anbietet, übernimmt die Auswahl und das Feilschen um die Waren: Unterwegs zu den Nil-Katarakten ...Jede Menge Gemüse, ein Huhn und einen guten Vorrat an Fladenbroten - alles zusammen für 900 Dinar (knapp 3,70 €) - so billig hätten wir es ohne die Hilfe des Sudanesen niemals bekommen. Gut versorgt geht die Fahrt kurz darauf los, nordostwärts aus Karima heraus, auf eine arg zerfahrene Wüstenpiste. Rechterhand, aber nur selten zu sehen, zieht der Nil träge durch die Einöde. Hin und wieder kommen uns LKW’s entgegen, deren Ladeflächen vollgepfercht mit Menschen sind - Arbeiter vom nahegelegenen Staudamm-Projekt. Nach einer guten halben Stunde Fahrt versperrt ein Schlagbaum die Piste. Hier, meint Umar, beginne das Sperrgebiet. Die Wachposten halten uns offensichtlich für Mitarbeiter einer der am Megabau beteiligten ausländischen Firmen. Wir belassen sie in dem Glauben und dürfen anstandslos passieren. Am Kontrollpunkt vor dem Merowe-DammDie erste Hürde auf unserem Weg ist genommen !
Im Camp vor der Baustelle werden wir erneut kontrolliert - diesmal strenger ! Wieder dürfen wir passieren, müssen uns aber im Hauptquartier bei der Bauleitung melden. Dort läuft uns gleich im Eingangsbereich Horst, ein an der Projektierung des Damms beteiligter deutscher Ingenieur, über den Weg. Ein Glückstreffer, denn unser Landsmann lädt uns nicht nur zu eisgekühlter Kola und Keksen ein, sondern arrangiert auch noch eine kurzfristige Zusammenkunft mit einem Vertreter der unter chinesischer Führung stehenden Bauleitung. Schneller als gedacht halten wir einen Passierschein für das weitläufige Baugelände in der Hand - Festgefahren !!!leider mit der strengen Auflage, nichts zu fotografieren. Selbstredend nutzen wir die Sondergenehmigung für eine kurze Besichtigung der riesigen Baustelle: Vorbei an mächtigen Baumaschinen lenkt der von unserem schnellen Erfolg sichtlich beeindruckte Umar seinen Hafla über einen Damm am Fuß der bereits hoch aufragenden, ungemein langen Staumauer. Dann geht es wieder hinein in die Einsamkeit der Wüste.
Gut eine Stunde sehen wir nichts anderes als Sand. Mehrfach bleibt der Hafla in den flachen Dünen stecken, doch irgendwie bekommen wir ihn immer wieder frei. Dann kommt der Nil erneut in Sicht - und mit ihm ein Bild der Verwüstung. Vor uns liegt ein Dorf - genauer: die Reste eines solchen. Bald werden die Fluten des angestauten Nils alles hier überschwemmen. Die Überreste einer Palm-PflanzungDoch noch zieht der Strom friedlich seine Bahn im Jahrtausende alten Bett. Das dem Dammprojekt im Wege stehende Dorf wurde offensichtlich gewaltsam geräumt. Bulldozer haben die Lehmhütten niedergewalzt und die benachbarte Oase - Grundlage des Lebens inmitten der lebensfeindlichen Wüste - zerstört. Verwilderte Kamele zwischen verkohlten Palmen sind die letzten Zeugen dieses Akts der Gewalt. Die traurigen Ruinen hinter uns lassend, folgen wir dem Flusslauf weiter stromaufwärts. Bald engen Felsen den Strom ein - nichts wirklich Spektakuläres. Eher eine Reihe größerer Steinblöcke, zwischen denen das Wasser dahin strömt. Picknick am NilUnser Ziel, der vierte Nilkatarakt, liegt vor uns. Zugegeben, wir hatten mehr erwartet ... Doch bald wird es diese Stromschnellen nicht mehr geben. Sie werden von den angestauten Wassermassen des Merowe-Damms überflutet. Während Umar beginnt, unser Essen zuzubereiten, erforschen wir die nähere Umgebung des Katarakts. Auch hier haben Bulldozer den ufernahen Oasenstreifen niedergewalzt und kleine Bewässerungsgräben zugeschüttet. Die unbarmherzig vom Himmel brennende Wüstensonne hat dann den Rest erledigt. Der vormals fruchtbare Nilschlamm liegt ausgetrocknet und steinhart. Ein bizarres, fast schon surrealistisch wirkendes Netzwerk weitläufiger Risse und Spalten überzieht den knochenbleichen Boden; beklemmend und faszinierend zugleich. In dieser gottverlassenen Gegend will ich mir einen lang gehegten Wunsch erfüllen: Ein Bad im Nil ! Umar erklärt mich deswegen glattweg für übergeschnappt. Am vierten Nil-KataraktKein vernünftiger Mensch käme hier auf die Idee ins Wasser zu gehen - der Krokodile wegen ! Doch selbige entdecke ich trotz intensiver Suche weder am Ufer noch irgendwo im Wasser - und so riskiere ich den Sprung ins herrlich erfrischende Nass.
Als Umar zum Essen ruft bin ich längst wieder zurück an Land. Unser Fahrer hat die Zwischenzeit bestens genutzt und ein leckeres Beduinenmahl bereitet: Hühnerfleisch, gut gewürzt, mit reichlich Gemüse im Tonkrug gegart, dazu duftendes Fladenbrot - wahrhaft ein Genuss ! Nach Abschluss des Mahls drängt Umar zum baldigen Aufbruch. Verständlich, ist doch der Rückweg weit und die Gefahr, sich im Sand festzufahren, nicht zu vernachlässigen. Verständnislos verfolgt der Sudanese, wie wir die übriggebliebenen Plastiktüten vom Picknickplatz aufsammeln und zurück in den Minibus räumen. Umweltschutz ist hierzulande leider noch immer ein Fremdwort. Die Rückfahrt verläuft schließlich ohne nennenswerte Zwischenfälle. Schiffe auf dem TrockenenDas weitläufige Sperrgebiet hinter uns lassend, erreichen wir mit Sonnenuntergang den Ortsrand von Karima. Wie vereinbart betanken wir den Minibus an der winzigen Tankstelle kurz hinter der Stadtgrenze und laden Umar für den Rest des Abends zu Tee und Ful in eine der kleinen Garküchen der Sharia El Shamalia ein. Ein weiterer ereignisreicher Tag im nördlichen Sudan neigt sich seinem Ende entgegen ...

23. April 2007  (Mo)

Vierter und wohl auch letzter Tag in der Wüstenstadt ... Inzwischen kennen wir uns recht gut in den Straßen und Gassen Karimas aus. Über den Nil ...Ohne Umwege steuern wir den wie üblich morgens sehr belebten Marktplatz an. Jenseits davon befindet sich der Bahnhof der Stadt. Letzterer hat seine Glanzzeit längst hinter sich. Die Gleise liegen verweist; auf einen Zug wartet man hier wohl lange schon vergebens. Hinter diesem Relikt besserer Zeiten fällt die Uferböschung steil hinab zum Nil. Große Dampfschiffe liegen dort auf dem Trockenen und rosten einsam vor sich hin. Ein Trampelpfad führt daran vorbei zu einer provisorischen Anlegestelle - dem Haltepunkt der „Personenfähre” hinüber nach Nuri. Amüsiert und ein wenig skeptisch begutachten wir die Nussschale, die da liegt: Ein hölzernes Ruderboot, kaum größer als einer der Vergnügungskähne, die man stundenweise an heimatlichen Stauseen mieten kann. Nur gilt es hier einen wirklich breiten, nicht ganz ungefährlichen Fluss zu queren. Eine Sandbank im NilAlternativen gibt es nicht, und so gesellen wir uns den bereits wartenden Passagieren zu, geduldig ausharrend, bis auch der letzte unbequeme Platz im Boot belegt ist. 300 Dinar kostet die knapp 15-minütige recht abenteuerliche Überfahrt. Obwohl sich die beiden Ruderer kräftig ins Zeug legen, wird das Boot von der starken Strömung ein gutes Stück mitgerissen. Routiniert bringen die Fährleute den Kahn jedoch schnell wieder auf Kurs. Nichtsdestotrotz endet die Fahrt deutlich eher als erwartet und gut 500 Meter vom jenseitigen Ufer entfernt - zum Glück jedoch nicht (wie anfangs durchaus zu befürchten war) kieloben im Wasser, sondern auf einer mehrere hundert Meter breiten Sandbank mitten im Strom. Die Nil-Oase bei NuriDer Nil führt derzeit Niedrigwasser und ein Gutteil der Ostseite des Flussbetts liegt trocken. An ein Weiterkommen im Boot ist hier nicht mehr zu denken ...
Der Fußmarsch durch den lockeren Schwemmsand ist schweißtreibend, der anschließende Weg durch die uferseitige Palmoase dagegen recht angenehm. Die Oase gehört bereits zu Nuri. Zwischen winzigen bewässerte Feldern und vereinzelt stehenden Lehmhütten führt eine schmale staubige Piste ostwärts Richtung Wüste. Obwohl unser Ziel, die Pyramiden von Nuri, ein ganzes Stück jenseits des schattigen Palmenstreifens liegt, Hinweistafel am Eingang zur Nekropole von Nuriverzichten wir erst einmal auf die sich uns anbietenden Motorrikschas und gehen die Strecke per pedes an.
Eine gute Stunde müssen wir laufen ehe die Baracke der „Archaeological Security Police” am Eingang des archäologischen Gebiets in Sicht kommt. Die unter einem vor der Baracke aufgespannten Baldachin dösenden Wachmänner sind unseres plötzlichen Erscheinens wegen sichtlich überrascht, verirrt sich hierher doch höchst selten ein Besucher - und wenn, dann bestimmt nicht unangemeldet oder gar zu Fuß ! Wenig begeistert über die lästige Störung der mittäglichen Ruhe versucht man uns erst einmal abzuwimmeln: Es wäre gerade kein Führer da und außerdem sei es doch eh viel zu heiß für einen ausgedehnten Gang durch die Wüste ! Zumindest mit Letzterem haben die Wächter nicht ganz unrecht, steht doch die Sonne bereits wieder hoch im Zenit. Aber halt, so leicht lassen wir uns nicht abweisen ! Die Pyramiden von NuriKurz entschlossen drücken wir einem der Männer das Eintrittsgeld - die beiden obligatorischen 10-US-Dollarnoten - in die Hand und gehen, die verblüfften Rufe hinter uns ignorierend, weiter, bis sich schließlich doch noch zwei der Herren unter dem Gelächter ihrer Kollegen widerwillig von ihrem schattigen Plätzchen erheben, um uns zu den in der Ferne bereits gut sichtbaren Pyramiden zu folgen ...
Wie schon in Meroe stehen auch hier in Nuri die spitz aufragenden Grabmale dicht an dicht, wirken jedoch mehrheitlich deutlich morbider als ihre Nil-aufwärts gelegenen Gegenstücke. Unglaubliche zweieinhalb Jahrtausende hatten Wind und Wüstensand in diesem abgelegenen Winkel der Welt Zeit, Vor den Pyramiden von Nuridie steinernen Wände der einstmals wahrscheinlich reich verzierten Bauwerke abzuschleifen oder gar ganz zum Einsturz zu bringen. Manche der Pyramiden sind kaum noch als solche zu erkennen, andere haben bizarre asymmetrische Formen angenommen. Nirgendwo zeigen sich Spuren von Restauration oder aktiver Erhaltung. Nichtsdestotrotz (oder vielleicht auch gerade deswegen) - der Anblick der antiken Monumente ist atemberaubend. Unsere unfreiwilligen Begleiter haben uns inzwischen eingeholt und bemühen sich nun zumindest kurzzeitig, uns einige Fakten zu den zahlreichen Gräbern zu vermitteln: Blick von der Spitze einer PyramideSo erfahren wir, dass die erste Pyramide in Nuri vermutlich bereits im 6. Jahrhundert vor Christi Geburt von Pharao Taharqa erbaut wurde und dass die gesamte Nekropole einstmals aus über 80 gestuften Pyramiden bestand. Doch bald lässt der Eifer unserer Führer wieder nach und das Eiltempo, in dem sie uns durch das Pyramidenfeld zu lotsen versuchen, offenbart, dass sie möglichst schnell wieder zurück auf ihre Sitzkissen unter dem Baldachin wollen. Derart getrieben macht der Rundgang wenig Spaß, und Thomas, dem die Sonnenglut weit heftiger zusetzt als mir, verliert bald die Lust durch den heißen lockeren Wüstensand zu stapfen. Auffallend schnell erklärt sich einer der Wächter bereit, Thomas zurück zur Baracke am Eingang zu geleiten. Genervt vom bisher eher enttäuschenden Verlauf des Rundgangs schicke ich den zweiten Wachmann ohne lang zu überlegen hinterher !
Allein zwischen den Pyramiden verfliegt mein Ärger so schnell wie er gekommen ist. Sanddünen vor den Pyramiden von NuriOhne Hast beginne ich den Rundgang noch einmal von vorn; nehme mir diesmal viel Zeit für Detailbetrachtungen und einzelne Fotos, besteige einige der besser erhaltenen Gräber und vergesse dabei bald komplett die Zeit. Laute Rufe holen mich schließlich - Stunden später ! - in die Wirklichkeit zurück. Ein Suchtrupp nähert sich aus Richtung des Eingangs. Die Männer sind sichtlich erleichtert, mich unversehrt auf einer der Pyramiden sitzen zu sehen. Geduldig lasse ich alle wohlgemeinten Mahnungen und Hinweise auf die Gefahren eines zu langen Aufenthalts in der gleißend heißen Wüstensonne über mich ergehen - zumal sie mit einem Schulterklopfen und sogar mit einer Spur von Anerkennung gegeben werden. Die Pyramiden von Nuri(Wie ich später erfahre, hatten die Hüter der Anlage Wetten darauf abgeschlossen, wie lange ich es wohl in der Hitze aushalten würde.) Dankend nehme ich ein paar Schlucke aus der vorsorglich mitgebrachten Wasserflasche und folge - zufrieden, mit allem was ich gesehen habe - den Wachleuten zurück zum Eingang.
Im Schatten des vor der Wachbaracke aufgespannten Baldachins treffe ich Thomas wieder, der sich bei Tee und Gebäck angeregt mit einigen der Wächter unterhält. Auch mir wird sofort ein Sitzkissen zurechtgerückt und ein Glas zuckersüßer Minztee angeboten. O-ha, man kennt also auch hier die arabische Gastfreundschaft ! Nach einem zweiten und dritten Glas setzen wir das erste Mal an, uns höflich zu verabschieden und bekommen prompt ein viertes eingeschenkt. Blick über die Pyramiden von NuriDer zweite Aufbruchsversuch endet ähnlich ! Da verstehe einer die Leute hier: Zuerst sind sie barsch und wollen uns am liebsten gleich wieder fortschicken und nun wollen sie uns plötzlich gar nicht wieder gehen lassen ! Ein Hupsignal vor der Baracke bringt bald darauf Aufschluss: Damit wir ja nicht wieder zu Fuß durch die Wüste marschieren hat man für uns heimlich eine Rikscha bestellt ! Sehr aufmerksam ! Dankend verabschieden wir uns am späten Nachmittag von den letztlich doch recht netten Bewachern der Nekropole von Nuri und lassen uns zurück zum Nil chauffieren.
Auf drei Rädern und mit lautstark knatterndem Motor ist die Strecke bis zum großen Fluss schnell zurückgelegt. Der Fahrer bringt uns zu einer uns unbekannten, etwas stromabwärts gelegenen Uferstelle, Mit der Rikscha zurück zum Nilvon welcher es - wie er behauptet - eine bessere Fährverbindung Richtung Karima geben soll. Ein Boot ist vorerst nirgends zu sehen, was uns ein wenig skeptisch macht. Dafür ist die Landschaft hier geradezu spektakulär schöne. Mehr noch als flussaufwärts nehmen weitläufige Sanddünen einen Gutteil des derzeit ausgetrockneten Flussbetts ein. Dahinter zieht der trotz Niedrigwasser noch immer sehr breite Vater aller Flüsse trügerisch ruhig seine Bahn. Am jenseitigen Ufer ragen schließlich hinter einem schmalen Palmenstreifen der Dschebel Barkal und weitere bizarre Plateaufelsen auf.
In der Palmenoase von NuriEin leises Brummen lenkt unsere Aufmerksamkeit bald auf ein winziges braunes Pünktchen inmitten des breiten Stromes. Das sich uns nähernde Fährboot sieht keinesfalls größer oder vertrauenerweckender als der flussaufwärts verkehrende Kahn aus, doch das nun langsam lauter werdende surrende Geräusch verrät, dass es immerhin einen Motor besitzt. Von wo auch immer - noch ehe die Fähre unser Ufer erreicht hat, tauchen weitere Passagiere neben uns auf, darunter auch ein alter Mann mit zwei Ziegen ! Die Tiere scheinen nicht zum ersten Mal die schwankenden Planken eines Bootes zu betreten; seelenruhig lassen sie sich in die Fähre ziehen und halten auch während der Überfahrt bemerkenswert still. Nachdem jeder Fahrgast seine 300 Dinar für die Passage entrichtet hat, legt der Fährmann ab, und erfreulich sicher und schnell erreichen wir das gegenüberliegende Ufer etwas östlich des Heiligen Berges. Für den Weg zurück ins Zentrum der Wüstenstadt Karima leisten wir uns eine weitere Motorrikscha. Sanddünen vor dem Nil bei NuriAm zentralen Halteplatz der Busse und Haflas erkundigen wir uns schließlich nach einer Verbindung Richtung Port Sudan und werden gleichsam überrascht und enttäuscht. Überrascht, weil es tatsächlich eine Direktverbindung von Karima in die ferne Küstenstadt am Roten Meer gibt; enttäuscht, weil gerade morgen kein Bus nach Port Sudan abgeht. Alternativ zu einer unplanmäßigen Verlängerung unseres Aufenthalts in Karima könnten wir etappenweise vorgehen und erst einmal zurück nach Atbara fahren, doch der Gedanke an unsere lausige Unterkunft in dieser Stadt lässt uns von einer solchen Möglichkeit schnell wieder Abstand nehmen. Statt dessen reservieren wir zwei Tickets für den nächstmöglichen Direktsbus nach Port Sudan und beglücken für den Rest des Abends den Wirt der Garküche unseres Vertrauens in der Sharia El Shamalia mit einem langen Besuch in seinem Lokal ...

Eine verfallene Moschee in der Niloase von Karima24. April 2007  (Di)

Anstatt beengt und schwitzend in einem Bus Richtung Küste zu sitzen, stecken wir also noch einen weiteren Tag in Karima fest. Ist dies nun ein gewonnener oder ein verlorener Tag ? Die antiken Stätten im Umfeld des Heiligen Berges haben wir alle gesehen; unser Bedarf an Pyramiden und Grabanlagen ist vorerst gedeckt. Andere nennenswerte Sehenswürdigkeiten in erreichbarer Entfernung scheint es nicht zu geben. Thomas sieht - ganz im Gegensatz zu mir - die logistisch bedingte Verlängerung unseres Aufenthaltes in der Wüstenstadt ausgesprochen gelassen und beschließt, heute einen Ruhetag einzulegen, ein wenig durch die Märkte Karimas zu schlendern und ansonsten viel Zeit unter den schattigen Markisen diverser Garküchen und Teestuben zu verbringen. Eine Ansiedlung am Rande des OasenstreifensIch schließe mich zumindest für ein Weilchen an, verliere dann aber doch die Ruhe und breche, noch bevor die alltägliche Mittagshitze mich zu träge dazu macht, zu einem längeren Spaziergang durch die südöstlich der Stadt gelegene Niloase auf ...
Ein zwischen dem Zentrum Karimas und der Anlegestelle der Fähre nach Merowe pendelnder Hafla bringt mich zu meinem gut 10 Kilometer südlich der Stadt gelegenen Ausgangspunkt der Tour - Fahrpreis 100 Dinar (ca. 0,40 €). Eine alte, verfallene Moschee unweit der Piste Richtung el-Kurru soll mein erstes Ziel werden. Selbige war mir bereits während unserer inzwischen drei Tage zurückliegenden Exkursion zur dortigen Nekropole wegen ihres ungewöhnlichen Baustils aufgefallen: Anstatt des sonst üblichen schlanken, hoch aufragenden Minaretts weißt hier ein eher plumper, flaschenförmiger Gebetsturm gen Himmel. Dattelpalmen und einsam vor sich hinbröckelnde Arkaden umgeben das betagte Gotteshaus. Junge Ziegenhirten auf ihrem Esel ...Mit einigen Kletterkünsten und viel Vertrauen in die ruinöse Wendeltreppe im Inneren des Turmes gelange ich auf eine arg baufällige, dafür aber einen wunderschönen Rundblick gewährende Balustrade. Das Panorama reicht über ein den Nilverlauf säumendes Meer aus Palmen und einige kleinere Ansiedlungen am Rande des Oasenstreifens bis weit hinein in die Wüste.
Zurück auf sicherem Boden folge ich der sandigen, den äußeren Rand der Oase markierenden Piste nordwärts, vorbei an verlassenen, halb verfallende Lehmhütten und winzigen ausgedörrten Ackerflächen. Von einem kleinen Jungen, der Ziegen hütet abgesehen, ist die Gegend anfangs menschenleer. Ein junger Hirte und sein KamelNach einer guten halben Stunde Fußmarsch erreiche ich die ersten Vororte von Karima. Die Szenerie belebt sich deutlich: Frauen beackern Gemüsebeete im Schatten hoch aufragender Palmen, Männer bessern Bewässerungsgräben aus, Kinder beladen Eselskarren mit Lehmziegeln, ein alter Mann treibt eine kleine Herde Kamele zur Tränke an den Nil. Natürlich falle ich als Fremder sofort auf. Alle paar Meter werde ich angesprochen und mehrfach auch zum Tee eingeladen. Die Gastfreundschaft gebietet, die vielen Fragen nach dem Woher und Wohin geduldig zu beantworten, auch wenn das mehr Zeit kostet als mir lieb ist. Entsprechend froh bin ich, schließlich das Ende der Siedlung zu erreichen und der Straße, die nun direkt auf den weithin sichtbaren Dschebel Barkal zuführt, in die Einsamkeit der Wüste folgen zu können.
Im Licht der inzwischen schon recht tief stehenden Abendsonne erreiche ich die Pyramiden am Fuße des Heiligen Berges. Ohne lang zu überlegen beschließe ich den Felsen ein letztes Mal zu umrunden und folge dafür einem kleinen Pfad durch die Sanddünen südlich des Berges. Auf dem Weg zurück nach KarimaDer auffrischende Abendwind weht mir einen widerlichen, immer stärker werdenden Geruch nach Aas und Verwesung entgegen, der mich im gleichen Maße abstößt wie er meine Neugier weckt. Ein paar Hundert Schritte weiter entdecke ich den Kadaver einer Ziege. Die Wüstensonne hat das tote Tier ausgetrocknet und mumifiziert. Wenige Meter dahinter liegt noch eine Ziege, daneben ein Schaf und noch etwas weiter sogar ein Kamel. Immer mehr Tierleichen kommen in mein Blickfeld. Die sandige Ebene vor dem Dschebel sieht aus wie ein Schlachtfeld ! Verdurstet können diese Tiere kaum sein - dafür ist der Nil viel zu nah. Es sieht eher so aus als wurden sie absichtlich getötet und in der Wüste liegen gelassen - aber wozu ? Vielleicht Ritualschlachtungen ? Tierkadaver unweit des Dschebel BarkalSollten die sonst so glaubenstreuen Muslime des Nordsudans hier heimlich noch ihren alten Göttern opfern ? Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Da weit und breit niemand zu sehen ist, den ich befragen könnte, laufe ich weiter, lasse den grässlichen Totenacker hinter mir, passiere die Reste des antiken Amun-Tempels östlich des Barkals und erreiche ohne weitere Überraschungen schließlich Karima.
Im „Al Nassr Hotel” treffe ich Thomas, der unsere Habseligkeiten bereits für die morgige Abreise vorbereitet hat. Selbstverständlich verbringen wir unseren letzten Abend in Karima in der Sharia El Shamalia - auch wenn wir von Ful (in welcher Variation auch immer) und süßem Tee die Nase inzwischen ziemlich voll haben. Meine an den Wirt der Garküche und einige andere Gäste gerichteten Fragen nach dem absonderlichen Schlachtfeld am Dschebel Barkal werden nur mit Erstaunen oder Schulterzucken beantwortet und führen bald dazu, dass wir ziemlich allein an unserem Tisch sitzen. Deutlich zeitiger als sonst ziehen wir uns in unser Quartier zur Nachtruhe zurück - der kommende Tag wird mit Sicherheit lang und anstrengend ...

25. April 2007  (Mi)

Noch vor dem ersten Ruf des Muezzins zum Morgengebet und lange vor Sonnenaufgang sind wir auf den Beinen und mit Sack und Pack unterwegs zum Halteplatz der Busse und Hafla im Zentrum Karimas. Am winzigen Büro der örtlichen Busgesellschaft erhalten wir für insgesamt 6000 Dinar (ca. 24,50 €) unsere vorreservierten Tickets. An der Fähranlegestelle zwischen Karima und MeroweZwei größere Busse werden vor dem Büro gerade mit Säcken, Kisten und Taschen beladen, doch auf unsere Frage, welcher dieser Busse nach Port Sudan fährt, werden wir zu einem der vielen wartenden Hafla geschickt. Unschlüssig und ein wenig verwundert nennen wir dem Fahrer des Minibusses nochmals unser Fahrtziel und zeigen die Tickets. Wie selbstverständlich wuchtet dieser daraufhin unsere Kraxen auf das Dach des Fahrzeugs und weißt auf zwei der noch freien Sitzlätze im Innern des Gefährts. Hm, irgendwie hatten wir für eine derartig lange Fahrt mit einem größeren, vielleicht auch etwas bequemeren Verkehrsmittel gerechnet. Aber was soll’s - schicksalsergeben belegen wir die dargebotenen Plätze und hoffen auf baldige Abfahrt.
Sonnenaufgang über dem NilUnsere Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, doch schließlich ist der Hafla voll belegt und der Fahrer startet den Motor. Auf der uns inzwischen bestens bekannten Piste geht es zur Anlegestelle der Nilfähre Richtung Merowe, doch statt der großen Pontonfähre liegen dort heute nur zwei schmale, wenig Vertrauen erweckende Boote mit Außenbordmotor. Das Gepäck wird auf eines der Boote gebracht, was für uns Hinweis genug ist, gleichfalls an Bord zu gehen. Mit Beginn des Sonnenaufgangs legt der kleine Kahn ab und tuckert, den gewaltigen, träge dahinziehenden Strom querend, dem wie eine gigantische Orange über dem Ostufer liegenden Sonnenball entgegen.
Knapp 15 Minuten später legen wir am jenseitigen Ufer, Unweit der Fähranlegestelle: Der Bus nach Port Sudanwo bereits die nächste unangenehme Überraschung in Gestalt eines zwar fotogenen, leider aber auch sichtlich betagten und bereits arg überfüllten Reisebusses auf uns wartet, an. Zusammen mit einem gewaltigen Stapel fremden Gepäcks landen unsere Kraxen irgendwo auf dem Dach des Busses. Beim Einsteigen müssen wir über weitere Gepäckhaufen klettern, um die letzten noch freien Plätze auf der Rückbank des Gefährts zu erreichen. Der Versuch sich zu setzen artet in eine schmerzhafte akrobatische Übung aus: Die Sitzbänke stehen derart eng hintereinander, dass kein Platz für die Beine zu bleiben scheint. Zusammengepfercht wie Sardinen und mit den Knien tiefe Dellen in die Rückenlehne des Vordersitzes bohrend, Landschaft in der Bayuda Wüstesitzen wir schlussendlich auf unseren durchgesessenen Plätzen und denken wehmütig an die plötzlich so unglaublich bequeme erscheinende Sitzbank im jenseits des Nils verbliebenen Hafla zurück. Bösen Vorahnungen, was die kommenden knapp 20 Stunden wohl noch alles an Unannehmlichkeiten für uns bereithalten werden, drücken die Stimmung ins Bodenlose ...
810 Uhr - ein zermürbendes Zittern geht durch den Bus als der Fahrer den Motor anlässt. Wie auf einer Rüttelplatte wird alles - Passagiere und Gepäck - noch ein paar Zentimeter dichter zusammengeschoben. Hart an der Schmerzgrenze sitzen wir eingeklemmt zwischen Bordwand, Sitzlehnen und zwei mit irgendetwas Hartem gefüllten Säcken. Reifenpanne in der Bayuda WüsteErst als sich das Gefährt rumpelnd in Bewegung setzt, lassen die Vibrationen etwas nach. Mit Hilfe eines der anderen Passagiere und unter gehörigem körperlichem Einsatz gelingt es uns schließlich, die aufdringlichen Packsäcke ein Stück beiseite zuschieben. Ein kleiner Erfolg, der unsere Sitzposition zumindest ein wenig verbessert.
830 Uhr - Merowe liegt hinter - die schier endlose Bayuda Wüste vor uns. Der Bus, alt und klapprig wie er ist, legt ein beachtliches Tempo vor. Die Route, die wir nehmen, scheint die gleiche wie auf der Herfahrt von Atbara zu sein. Der Blick aus dem Fenster zeigt nichts als Sand und Gestein. Gern würden wir die Fahrzeit nutzen, ein paar Stunden Schlaf nachzuholen, doch die holprige Piste und die quälend unbequeme Sitzbank vereiteln jeden diesbezüglichen Versuch schon im Ansatz ...
Reifenwechsel in der Bayuda Wüste945 Uhr - zum wiederholten Mal lösen sich nach einer besonders üblen Bodenwelle Gepäckstücke aus der Ablage und regnen auf die darunter sitzenden Fahrgäste hernieder, was selbst unter den duldsamen, bisher alle Unannehmlichkeiten dieser Fahrt apathisch hinnehmenden Sudanesen zu lauten Unmutsäußerungen führt und den Busfahrer zur Drosselung seines wahnwitzigen Tempos zwingt. Die Fahrt wird deswegen nicht wirklich erträglicher ...
1220 Uhr - ein lauter Knall und das sich anschließende Schleudern des Busses schreckt alle Insassen aus ihrer Lethargie. In einer Wolke aus Sand und Staub bringt der Fahrer den Bus schlingernd zum Stehen. Ankunft in der Nil-Oase von AtbaraIn erstaunlich kurzer Zeit zwängt sich ein Großteil der Passagiere aus den Sitzen und durch den mit Packen und Säcken verstellten Mittelgang zum Ausgang. Auch uns drängt die Neugier und noch mehr die unverhoffte Chance, den schmerzenden Gliedmaßen ein wenig Bewegen zu verschaffen, hinaus ins Freie. Die Ursache des Knalls ist schnell gefunden: Reifenpanne ! Der rechte hintere Zwillingsreifen ist geplatzt - kein Wunder auf dieser Piste. Unter mehr oder minder qualifizierter Anteilnahme der männlichen Fahrgäste wuchten Fahrer und Beifahrer einen Teil des Gepäcks vom Dach, um an das darunterliegende Ersatzrad zu kommen. Mit archaischen Werkzeug, brachialer Gewalt und Allah wohl wenig gefälligen Flüchen lösen sie anschließend das kaputte Rad - wobei weniger der Radmutterschlüssel als vielmehr ein großer Hammer die Hauptrolle spielt. Der gleiche Hammer und eine Brechstange sind dann auch die bevorzugten Werkzeuge, den alten Reifen von der Felge zu lösen und den neuen aufzuziehen. Nach knapp 25 Minuten ist das Rad repariert und montiert - alle Achtung ! Deutlich langsamer als der Exodus aus dem Bus vollzieht sich nun die Rückkehr der Fahrgäste auf ihre Sitzplätze. Verständlich - auch uns treibt es nicht gerade zurück in diese rollende Sardinenbüchse. Einige der Sudanesen ziehen es sogar vor, auf dem Dach des Busses weiterzureisen. Eigentlich gar keine so üble Idee, doch bei der sengenden Mittagssonne und dem vielen durch die Fahrt aufgewirbelten Staub entscheiden wir uns letztlich doch für das Innere des nun nicht mehr ganz so überfüllten Fahrgastraumes. Eine gute Dreiviertelstunde nach dem unplanmäßigen Stopp setzt sich der Bus erneut in Bewegung. Der kaputte Reifen bleibt einfach in der Wüste liegen.
1445 Uhr - 6½ Stunden nach unserer Abfahrt von Merowe erreichen wir die Nilfähre von Atbara - die Bayuda Wüste, der erste Abschnitt dieser Fahrt, liegt hinter uns. Die Fähre befindet sich just am gegenüberliegenden stadtseitigen Ufer, so dass genug Zeit für einen Bummel durch den winzigen improvisierten Markt oberhalb der Anlegestelle bleibt. Ein junger Mann mit einem blau getünchten Handkarren sorgt dort gerade lautstark für viel Aufmerksamkeit. Und die Masse der Menschen, die zu ihm eilen, sind Beweis genug, dass er irgendetwas Besonderes anbietet. Gespannt, was das wohl sein könnte, gesellen wir uns dazu, um kurz darauf verblüfft festzustellen, dass hier Eis - richtiges Fruchteis in echten Waffeltütchen ! - feilgeboten wird. Was zuhause ganz alltäglich, ist hier, bei 47°C am Rande der Wüste, eine Kostbarkeit ! Mit 100 Dinar (0,40 €) ist die kleine Portion für sudanesische Verhältnisse nicht gerade billig - aber das interessiert niemanden. Der Kühlbehälter leert sich in atemberaubendem Tempo, und wir haben alle Mühe, auch noch eine Kostprobe abzubekommen ...
Mit einem Glas Minztee vertreiben wir uns die verbleibende Zeit bis zur Ankunft der Fähre. Das gewohnte Chaos nach dem Anlegemanöver fällt diesmal sogar noch etwas hektischer aus, da unser Bus, der ganz vorn in der Warteschlange steht, unweigerlich einen Großteil der Ladekapazität der Fähre beanspruchen wird. Noch während die Ankommenden versuchen, von Bord zu kommen, drängen sich einige der wartenden Händler mit ihren Handkarren und Eselsfuhrwerken bereits wieder auf das Schiff. Ein lautstarkes Durcheinander und ein sich nur langsam auflösender Stau sind die Folge. Wir lassen uns Zeit, denn für Fußgänger ist allemal genügend Platz an Bord.
Glücklich am andern Ufer angekommen, heißt es schon wieder hinein in die Sardinenbüchse ! Doch statt weiter Richtung Osten zu fahren, lenkt der Fahrer den Bus erst einmal zu einer Art Raststätte am Rande von Atbara. Während das Gefährt betankt wird, werden wir gemeinsam mit den anderen Passagieren in einen Innenhof gebeten, wo allerlei Speisen auf einer kleinen Tafel verführerisch duften. Ungeniert stürmen unsere Mitreisenden den gedeckten Tisch, derweil wir noch staunend im Eingang stehen. Lachend drückt uns der Beifahrer schließlich einen Blechnapf mit Ful und einen Laib frischen Fladenbrots in die Hand und zeigt zur Tafel. Mittagspause !
Für örtliche Verhältnisse lässt das Mahl nichts zu wünschen übrig: Neben dem obligatorischen Topf eingedickter Favabohnen stehen Schüsseln mit Kartoffeln in scharfer Soße, Teller mit Schaf- und Ziegenfleisch und Schalen mit verschiedenem Gemüse bereit, zuckersüßer Tee, Ziegenmilch und Wasser werden in Krügen gereicht. Genau wie alle Anderen langen nun auch wir kräftig zu und schlagen uns die Bäuche voll. Zum Abschluss des opulenten Mahls wird der Schlauch einer Wasserpfeife herumgereicht, dann ruft der Fahrer zum Aufbruch. Auf unsere Frage nach dem Preis des Essens erfahren wir, dass die Verpflegung im Fahrpreis inbegriffen ist - wow, endlich mal eine angenehme Überraschung !
Von Atbara führt eine neu gebaute Straße ostwärts in die Nubische Wüste. Auf der ungewohnt ebenen Fahrbahn holt der Fahrer alles aus seinem Bus heraus, was der betagte Motor noch irgendwie hergibt. Entsprechend zügig lassen wir die Stadt am Nil hinter uns. Leider hat sich unsere heimliche Hoffnung, dass zumindest ein kleiner Teil der mitreisenden Sudanesen in Atbara aussteigen könnte, nicht erfüllt. Im Gegenteil: Alle die nach der Reifenpanne einen Platz auf dem Busdach bezogen hatten, sind inzwischen wieder nach unten in den Fahrgastraum gekommen. Der Enge meines Sitzes überdrüssig, nutze ich einen kurzen Stopp, um selbst auf das Dach zu klettern - der brennendheißen Wüstensonne zum Trotz. Doch der Busfahrer holt mich zurück: Eine Fahrt auf dem Dach sei hier zu gefährlich ! Ich verstehe nicht so recht, warum es hier riskanter als auf der hinter uns liegenden Wüstenpiste sein sollte. Da jedoch keiner der anderen Fahrgäste Anstalten macht, gleichfalls aufs Dach zu steigen, füge ich mich murrend dem Verbot. Einige Kilometer weiter endet die Teerstraße in einer Baustelle. Mit fast unverminderter Geschwindigkeit rast der Bus, eine riesige Staubwolke aufwirbelnd, über die sich anschließende waschbrettartige Sandpiste. Einzelne Bodenwellen lassen das schwere Fahrzeug fast abheben. Wieder und wieder werden wir aus unseren Sitzen katapultiert, um Sekundenbruchteile später schmerzhaft zurück auf die harten Bänke gepresst zu werden. O-ha - deswegen durfte ich vorhin also nicht aufs Dach: Ein Platz auf dem mit Netzen und Planen verzurrten Gepäckstapel käme nun zweifellos dem Ritt auf einem wilden Stier gleich !
Endlos lange Stunden später - die Sonne ist inzwischen hinter dem westlichen Horizont verschwunden; das fahle Licht der Abenddämmerung taucht die eh schon triste Landschaft in deprimierendes Aschgrau - steuert unser Chauffeur eine weitere Wüstenstation an. Der Versuch, der Enge des Busses schnellstmöglich zu entrinnen, zaubert bei vielen der Fahrgäste eine Grimasse des Schmerzes ins Gesicht. Das lange beengte Sitzen hat die Gliedmaßen starr und taub werden lassen; Dehnung und eine ausgiebige Massage täten jetzt not. Doch an eine Massage ist hier natürlich nicht zu denken, und für mehr als ein paar halbherzige Lockerungsübungen sind wir alle miteinander viel zu erschöpft. Selbst der dargebotene kleine Imbiss wird von den meisten Passagieren ignoriert - kein Wunder, bei der hinter uns liegenden Höllenfahrt ist das Gefühl im Magen eher flau. Und der Gedanke an weitere sich qualvoll dehnende Stunden der Pein verderben selbst dem hartgesottensten Wüstensohn den Appetit ...
Viel zu schnell erlischt das letzte Licht des Tages. Ungeduldig traktiert der Fahrer die Hupe seines Busses und kündigt so die baldige Weiterfahrt an. Widerwillig pressen wir uns in unsere Sitznische und versuchen ein weiteres Mal vergeblich eine halbwegs akzeptable Position zum Schlafen einzunehmen. Ratternd und ruckeln setzt sich das Gefährt in Bewegung, um die noch immer erschreckend große Distanz zum Ziel ein weiteres Stück zu verkürzen. Die tintenschwarze Finsternis verbirgt inzwischen alles woran sich das Auge festhalten, woran man das Tempo abschätzen kann. Schlaftrunken kreisen meine Gedanken wieder und wieder um die Frage, wie lang wir wohl noch unterwegs sein werden, wie sich der Fahrer nachts in dieser nicht enden wollenden Einöde eigentlich orientiert, und wie - ja wie in aller Welt er überhaupt so lang am Steuer durchhält ?!

26. April 2007  (Do)

Ein Rütteln an der Schulter reißt mich aus meinem Halbschlaf. Port Sudan - wir sind am Ziel ! Verblüfft stelle ich fest, dass unser Bus bereits durch die spärlich beleuchteten Straßen der Küstenstadt rollt. Ein Blick auf die Uhr: Kurz nach Mitternacht ! Habe ich wirklich die letzten Stunden dieser Tortur verschlafen ? Zwei Straßenecken weiter hält das Gefährt. Röchelnd verstummt der Motor - Endstation ! - leider noch ziemlich weit außerhalb des Zentrums. Erschöpft, aber heilfroh diese zermürbende Fahrt überstanden zu haben, verlassen wir gut 16 Stunden nach unserem Aufbruch von Merowe den Bus. Ein Tee-Verkäufer kommt gerade recht, um die Zeit zu überbrücken, die der Fahrer und sein Gehilfe brauchen, das Reisegepäck vom Busdach zu hieven. Das aromatische Heißgetränk hilft endgültig munter zu werden. Nachdem jeder Passagier seine verstaubten Habseligkeiten aus dem Stapel des nicht gerade sanft zu Boden beförderten Gepäcks herausgewühlt hat, leert sich der Halteplatz zusehends. Schneller als uns lieb ist sind auch die wenigen wartenden Taxis belegt. In der Hoffnung auf weitere Taxen warten wir noch ein Weilchen, verlieren aber bald die Geduld und wenden uns per Pedes in die Richtung, in der wir das Zentrum vermuten. Vier Straßenzüge weiter stoßen wir auf ein leeres Taxi ...
Der Taxifahrer ist ein Schlitzohr; hält uns offensichtlich für blutige Neulinge denen man ein paar Scheine extra aus der Tasche ziehen kann. 5000 Dinar (also etwas mehr als 20 €) fordert er für die Fahrt ins Zentrum - das ist wahrscheinlich das Zehnfache des üblichen Tarifs und selbst für hiesige Verhältnisse ganz böser Wucher ! Mangels greifbarer Konkurrenz glaubt er unsere Versuche, einen halbwegs akzeptablen Fahrpreis auszuhandeln, unwirsch abbügeln zu können. Erst als wir demonstrativ unsere bereits verstauten Kraxen aus dem Kofferraum holen, um den Weg zu Fuß fortzusetzen, kommt er uns unter viel Lamento preislich entgegen: 4000 Dinar ... 3000 Dinar ... 2500 Dinar ... „last offer” 2000 Dinar ! Schließlich einigen wir uns auf 1200 Dinar und, obwohl er etwas von „wir würden ihn ruinieren” murmelt, beeilt er sich doch sehr, unsere Kraxen zurück in den Kofferraum zu quetschen.
Gut eine Viertelstunde später stehen wir in der Altstadt von Port Sudan vor dem „Zahran”, einem Hotel welches uns der Taxifahrer als preiswert und sauber empfohlen hat. Leider ist das Hotel komplett ausgebucht und auch zwei weitere, in der näheren Umgebung gelegene Unterkünfte sind voll belegt. Verflixt, warum muss es hierzulande immer so schwierig sein, eine Herberge zu finden ! Ein wenig plan- und leider auch ziemlich erfolglos durchforsten wir die nächtlichen Straßen und Gassen des Zentrums der Küstenstadt. Einer der wenigen Passanten, die um 130 Uhr nachts noch unterwegs sind, weißt uns schließlich den Weg zu einem mehrstöckigen Gebäude, welches (zumindest für uns) von außen absolut nicht als Hotel erkennbar ist. Wir müssen lange klopfen ehe der schlaftrunkene Eigentümer des „Al Gode” - so der Name des Etablissements, wie wir kurz darauf erfahren - die mehrfach verriegelte Tür öffnet.
Die versteckte Herberge verfügt zu unserer Freude tatsächlich über freie Zimmer. Wir entscheiden uns für eine leidlich saubere Kammer mit zwei Betten, Dusche und WC und zahlen die geforderten 3000 Sudanesischen Dinar für die erste Nacht im Voraus. Die Betten sind frisch bezogen und erfreulich bequem - was nach unseren wenig erbaulichen Erfahrungen von Atbara in diesem Teil der Welt wahrlich keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Zufrieden nehmen wir das Zimmer in Beschlag. Wieder ist ein Etappenziel erreicht. Ob sich der immense Aufwand hierherzukommen wirklich gelohnt hat, wird sich morgen zeigen. Vorerst heißt es hinlegen, ausstrecken, schlafen !
815 Uhr, der morgendliche Straßenlärm sorgt dafür, dass wir nicht allzu viel vom neuen Tag verschlafen. Aus der Dusche tröpfeln ein paar Spritzer rotbrauner Brühe, dann versiegt das Wasser mit einem gurgelnden Geräusch vollends. Der Hotelier meint, dies sei ganz normal um diese Tageszeit und würde in Kürze wieder funktionieren. Nun gut, verschieben wir die Körperpflege auf später und suchen erst einmal eine Gelegenheit zum Frühstücken. Im hellen Tageslicht sieht die Gegend, in der wir Quartier bezogen haben, gar nicht mal so übel aus. Nur einen Steinwurf entfernt sehen wir die Town Hall - das im Kolonialstil errichtete Rathaus von Port Sudan. Die breite, gut geteerte Straße vor unserer Herberge wird von Häusern mit Arkadengängen gesäumt, die teilweise wohl gleichfalls noch aus der Kolonialzeit stammen. Mit etwas frischer Farbe könnte das Viertel zweifellos recht reizvoll sein. Nur die Bürgersteige sind eine Katastrophe, unvollendet, voller Bauschutt und Schmutz und weitestgehend unbenutzbar. Ringsum herrscht reges Treiben. Pickups und Motorrikschas knattern laut hupend durch die Straßen, Eselskarren harren am Bordstein geduldig ihrer Besitzer, Frauen, in bunte Tücher gehüllt, tragen Kinder durch die Gassen, Fliegende Händler mit prall gefüllten Schubkarren bieten ihre Wahre geräuschvoll feil. Ein Teeverkäufer bewirtet uns für ein paar Dinar mit stark gesüßtem Schwarztee und frischer Minze und in einer Art Tante-Emma-Laden bekommen wir Gebäck und Zuckerwerk dazu. Kein schlechtes Frühstück für den Anfang ! Mehr zufällig als zielstrebig schlendern wir weiter durch die Innenstadt, vorbei am schon erwähnten Rathaus und dem beeindruckenden Kolonialbau der Hafenbehörde (das zweifelsohne interessante Hafenareal ist für nicht autorisierte Personen - also für uns - leider gesperrt), ein Stück auf der Corniche - der derzeit noch im Bau befindlichen Uferpromenade von Port Sudan - und zurück in die Altstadt, wo wir schließlich unweigerlich im Souq, dem quirligen Marktviertel der Stadt landen. In schmalen Gassen zwischen weiß getünchten flachen Häusern mit dunkelgrünen Türen und Fensterläden herrscht emsige Geschäftigkeit. Händler in langen weißen Gewändern sitzen hinter ungezählten Körben, Kisten, Säcken voller Wahren oder treiben Eselskarren lautstark durch das Gedränge der Marktbesucher. Begeistert zücke ich meine Kamera, um das farbenfrohe Treiben abzulichten. Die Händler, in anderen Teilen der Welt von Horden fotografierender Touristen meist genervt und dementsprechend abweisend, sind hier, weitab vom Massentourismus, freundlich und zugänglich, winken uns nicht selten zu sich heran, um fotografiert zu werden oder uns zu kleinen Leckerbissen oder Tee an ihren Ständen einzuladen. Derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehend, ziehen wir bald das misstrauische Interesse der örtlichen Staatsmacht auf uns.
„The passports ... please !” - ein junger Uniformierter, dem das „please” doch merklich schwer über die Lippen geht, streckt uns gebieterisch seine Hand entgegen. Wir gehorchen. Nach minutenlangem Studium unserer Reisepässe und der enthaltenen Visa verlangt er „The photo permission ... !” - - - Ohhh shit, das hat uns gerade noch gefehlt. Frustriert von unserer Odyssee durch die Behörden und Ämter Khartums hatten wir zu Beginn dieser Reise bekanntlich ein paar der vorgeschriebenen Permits „vergessen” zu beantragen. Unter Anderem war auch die gerade geforderte Fotoerlaubnis dem vorzeitigen Abbruch des Schreibtischmarathons zum Opfer gefallen. Bisher waren wir damit ganz gut gefahren; hatten bei keiner der vielen Kontrollen eine lokale Aufenthaltserlaubnis oder gar die behördlich bestätigte Reiseroute vorweisen müssen. Und jetzt, am vorletzten Tag, fragt uns dieser etwas übermotivierte Jungpolizist nach dem Foto-Permit ! Der Klassiker - den unwissenden Ausländer zu spielen - bringt uns leider nicht weiter. Demonstrativ steckt er unsere Papiere ein und blafft uns an, ihm zu folgen.
Am Rande des Souq müssen wir in ein Polizeiauto steigen. Die ungeplante Fahrt führt aus dem Zentrum heraus und endet vor einem schmucklosen Gebäude, von dem wir kurz darauf erfahren, dass es der Sitz der „National Security” - des sudanesischen Inlandsgeheimdienstes - ist. Eskortiert von zwei Beamten werden wir in ein schmuddeliges Büro gebracht, in dem ein älterer, den Schulterstücken zufolge höhergestellter Offizier bereits unsere Pässe begutachtet. Nachdem wir bestätigt haben, der englischen Sprache mächtig zu sein, beginnt das Verhör. Doch es dreht sich nicht um die fehlende Fotoerlaubnis - vorerst nicht. Vielmehr ist der Mann brennend an deutschem Fußball interessiert. Er schwärmt von der WM in Deutschland, die er im Fernsehen verfolgt hat und gibt sich als großer Fan und Kenner der Bundesliga zu erkennen, der - wie wir schnell merken - auf diesem Metier weit besser bewandert ist als wir. Virtuell jetten wir von München nach Hamburg und über Dortmund zurück nach Frankfurt - stets bemüht, den eigentlichen Grund unseres Hierseins nicht zur Sprache zu bringen. Schlussendlich kommt der Beamte dann aber doch auf den Ausgangspunkt unseres unfreiwilligen Besuchs zurück und ich muss meine kleine Digitalkamera vorzeigen (die bessere analoge Kamera hatte ich während der Fahrt heimlich in meinen Rucksack verschwinden lassen, hoffend - sollte es ganz hart kommen - wenigstens diese Bilder retten zu können). Interessiert mustert der Polizist das kleine Gerät, lässt sich erklären, wie es funktioniert und schaut in aller Ruhe unsere Schnappschüsse aus Meroe und Karima durch. Dann, unvermeidlich, die gefürchtete Frage nach dem Permit. In der Not fällt mir nicht besseres als eine dreiste Lüge ein: In Khartum hätte man uns gesagt, Foto-Permits seien seit diesem Jahr nicht mehr notwendig - genau wie Voranmeldungen für Besuche in den nördlich der Hauptstadt gelegenen archäologischen Stätten des Landes. Zumindest Letzteres stimmt und macht die Notlüge etwas glaubhafter. Schweigend mustert uns der Offizier. Jetzt bloß nicht nervös wirken ! Einen Moment scheint er zu überlegen, meine Behauptung telefonisch zu prüfen, entscheidet sich dann aber doch dagegen und brüllt nach der Ordonanz. Kurz darauf wird der junge Polizist hereingeführt, der uns im Markt verhaftet hat. Anfangs ziemlich fassungslos, dann aber doch mit einem Fünkchen Schadenfreude werden wir Zeugen, wie der so übereifrige Wächter der öffentlichen Ordnung von seinem Vorgesetzten harsch zurecht gewiesen wird. Mehrfach muss er sich bei uns entschuldigen - was wir selbstredend großzügig annehmen - und uns zuguterletzt noch mit Tee und Keksen bewirten. Nachdem wir den Vorfall als für uns vollkommen belanglos abgetan, dankend den Tee geleert und die Pässe sowie die Kamera ausgehändigt bekommen haben, chauffiert uns der nun sehr zuvorkommende junge Ordnungshüter zurück ins Zentrum. Puh - das hätte deutlich unangenehmer für uns enden können ...
Den Rest des Tages verbringen wir, von diensteifrigen Polizeibeamten unbehelligt, im weitläufigen Marktviertel und in verschiedenen kleinen Straßenkaffees der Stadt, probieren schwarzen Mokka, frisch gepressten Orangensaft und mit Kardamom gewürzten Tee, kaufen ein paar kleinere Souvenirs, verschiedene sehr preiswerte Gewürze und - eine echte Spezialität der Region - ein Säckchen voll duftendem Harz des Weihrauchbaums.
Zurück im Hotel müssen wir feststellen, dass die Dusche noch immer nicht funktioniert. Der Eigner der Herberge schwört bei Allah, dass während unserer Abwesenheit alles in bester Ordnung war und dass das Wasser gerade eben wieder versiegt sei. Wir glauben ihm, zumal sich aufzuregen schwerlich etwas verbessern würde. Immerhin bekommen wir zwei Eimer voll Wasser ins Zimmer gestellt - genug für die allernötigste Körperhygiene. Vielleicht fließt das Wasser ja morgen wieder - insha’Allāh - die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

27. April 2007  (Fr)

Nein, die Dusche funktioniert noch immer - oder schon wieder ? - nicht. Egal, für eine Katzenwäsche reicht das restliche Wasser aus den Eimern noch aus, und spätestens morgen müssen wir eh zurück nach Khartum. Damit ist die wichtigste Aufgabe des Tages auch schon umrissen: die Weiterreise organisieren. Danach können wir entscheiden, für welche Aktivitäten die uns verbleibende Zeit in Port Sudan noch ausreicht. Nach einem eher mageren Frühstück in einem Straßenrestaurant unweit unserer Unterkunft begeben wir uns folglich auf die Suche nach dem Büro der lokalen Fluggesellschaft, denn - da sind wir uns einig - eine weitere strapaziöse Busfahrt durch die Wüste gilt es dringend zu vermeiden. Fraglich ist nur, ob unsere schwindsüchtigen finanziellen Mittel so einen Luxus überhaupt noch zulassen. An neues Geld kommen wir hier, im wirtschaftlich und politisch isolierten Sudan, so ohne Weiteres jedenfalls nicht heran. Die sonst so praktischen kleinen Plastikkarten mit der Aufschrift „Visa” oder „Master” sind hierzulande reinweg gar nichts wert ...
Das Büro von Nova Airways, einer kleinen sudanesischen Fluggesellschaft, liegt nur wenige Gehminuten von unserer Unterkunft entfernt. Wir erkundigen uns nach Flügen in die Hauptstadt und werden positiv überrascht: Es gibt einen Flug für morgen Nachmittag, freie Plätze sind noch reichlich vorhanden und der Flugpreis ist mit 21000 Dinar pro Person (also ca. 85 €) auch akzeptabel. Ein vor Ort schnell durchgeführter Kassensturz ergibt, dass wir uns diesen Komfortbonus (eine Busfahrt wäre natürlich erheblich billiger) auch gerade noch so leisten können. Die Buchung ist schnell erledigt, das eigentliche Tagesprogramm kann beginnen. Dank des nicht nur bequemeren, sondern auch deutlich schnelleren Verkehrsmittels haben wir nun fast einen vollen Tag hinzugewonnen, den wir vor allem für einen Abstecher in die nahegelegene Hafenstadt Suakin nutzen wollen.
Der Sammelplatz der Regionalbusse ist leicht zu finden. Am Rande des Souq, dort wo das Gewimmel und vor allem die Geräuschkulisse das Treiben im Markt noch einmal deutlich übersteigt, stehen ein gutes Dutzend der „Hafla” genannten Minibusse kreuz und quer auf einem staubigen Platz. Trotzdem es auch hier die uns inzwischen vertrauten Ausrufer für die einzelnen Linien gibt, erweist es sich als überraschend schwierig, das passende Gefährt Richtung Suakin zu finden. Nach zwei erfolglosen Runden um den Halteplatz erbarmt sich endlich einer der Ausrufer und führt uns zu einer etwas abseits des Platzes gelegenen Gasse, wo tatsächlich der gesuchte Bus steht.
Da Haflas erfahrungsgemäß erst abfahren, wenn auch der letzte Sitzplatz belegt ist und der vor uns stehende Minibus noch ziemlich leer aussieht, nutzen wir die Wartezeit, um Proviant - vor allem Wasser - im nahegelegenen Markt zu erstehen. Gut ausgestattet für die Tour platzieren wir uns im inzwischen leidlich gefüllten Bus und harren der baldigen Abfahrt. Schließlich startet der Fahrer den Motor - und ab geht die Fahrt gen Süden, aus der großen quirligen Hafenstadt hinaus in die Wüste. Die schmale, aber gut geteerte Straße führt meist parallel zur Küste durch eine flache, wenig interessante Landschaft, in der ein paar vereinzelte Kamele und eine an dürren Büschen äsende Ziegenherde noch die größten Attraktionen darstellen. Unterwegs quetscht sich der Beifahrer durch die Bankreihen, um den fälligen Obolus für die Fahrt zu kassieren. Uns muss er dabei für ziemlich einfältig halten, denn während ringsum ganz offensichtlich 300 Dinar pro Person gezahlt werden, sollen wir das Doppelte löhnen. Nach einem kurzen heftigen Wortwechsel, bei dem sich ein Gutteil der Passagiere lautstark einmischt, wird das Problem zu unseren Gunsten entschieden und der seiner Dreistigkeit wegen gescholtene Kassierer verdrückt sich zurück auf seinen Platz am Einstieg.
1020 Uhr, eine reichliche Stunde nach Abfahrt aus Port Sudan erreichen wir unser Ziel: Die historische Hafen- und Handelsstadt Suakin. Der erste Eindruck ist ernüchternd. Der Hafla rollt vorbei an verfallen wirkenden, aber offensichtlich noch bewohnten Häusern und hält auf einem alles andere als sehenswerten Platz. Zusammen mit den anderen Fahrgästen wollen wir aussteigen, doch der Fahrer bedeutet uns, noch sitzen zu bleiben. Im nunmehr leeren Hafla werden wir zwei Straßenzüge weiter bis vor ein großes Tor chauffiert. „Old town” - auf das Tor zeigend öffnet der Fahrer uns die Tür.
Von zwei wehrhaften Türmen flankiert und augenscheinlich vor nicht allzu langer Zeit restauriert, bildet ein Torhaus den Zugang zum historischen Teil Suakins. Die Stadtmauer rechts und links des Tores macht - im krassen Gegensatz zu selbigem - einen eher verwahrlosten Eindruck, der Anblick der Altstadt dahinter verschlägt uns schlicht weg die Sprache. Suakin, soviel hatten wir im Vorfeld der Reise herausgefunden, war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts der bedeutendste Handelshafen an der afrikanischen Küste des Roten Meeres. Kamelkarawanen brachten Kaffee, Elfenbein und Gold sowie schwarzafrikanische Sklaven, die von hier aus nach Arabien verschifft wurden. Ein gut geschützter natürlicher Hafen war über Jahrhunderte die Basis für Wachstum und Wohlstand der durch Mauern und Wehranlagen bestens gesicherten Stadt. Doch wohin ist diese blühende Metropole verschwunden ? Statt prachtvoller Gebäude flankieren wüste Trümmerhaufen die Gassen Alt-Suakins. Hatte ein Krieg oder ein Erdbeben diesen Ort so massiv zerstört ? Die einzigen halbwegs intakten Gebäude sind - soweit das Auge reicht - Moscheen, deren meist weiß getünchte Minarette und Kuppelbauten im halben Dutzend aus der Steinwüste aufragen - ein fast schon surrealistisches Bild. Trotzdem macht der Ort keinesfalls einen verlassenen Eindruck. Allenthalben sieht man Menschen zwischen den Trümmern: Kinder, die voll beladene Eselkarren lenken, fliegende Händler mit Wasser, Tee und Kaffee, Inhaber von mobilen Garküchen, die Ful und andere lokale Speisen zubereiten, Krämer die an improvisierten Verkaufsständen Süßwaren, ja sogar Souvenirs feil bieten und auch einige Handwerker, die hier und da versuchen, irgendeine Mauer zu sichern oder einen Baldachin über einem neu errichteten Marktstand aufzuspannen. Museumsreife Dieselgeneratoren - an einigen von ihnen könnte Rudolf Diesel durchaus persönlich noch herumgeschraubt haben - versorgen, knatternd und die Luft verpestend, sogar einige der Stände mit elektrischem Strom. Unser erster Schock weicht bald ungläubigem Staunen. Dieser Ort, so ruinös er auch aussieht – tot ist er ganz offensichtlich noch lange nicht.

Fortsetzung folgt ...


*) Nachtrag: 
Beim englischsprachigen Bradt-Verlag gibt es seit 2005 einen Sudan-Reiseführer - ein für das riesige Land bescheiden dünnes Büchlein mit sehr lückenhaften, teilweise falschen oder überholten Informationen.

Bericht: Heiko Otto
April 2007       
Kommentar
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