Südamerika 1996
... auf den Pfaden der Inka ...
                           (Heiko Otto)
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Der kleine, sehr rustikal wirkende Zug ist brechend voll. Auf den unbequemen Holzbänken, Cusco - die alte Hauptstadt des Inka-Reichs im Gang und selbst auf den Plattformen zwischen den Waggons drängen sich bunt gekleidete Indiofrauen, -männer und -kinder. Zahllose Säcke, Kisten und Tragetücher voller Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände füllen die verbleibenden Lücken. Mit meiner Kraxe und der Wanderausrüstung wirke ich dazwischen irgendwie deplaziert und ziehe vor allem die Aufmerksamkeit der Kinder auf mich. Seit unserer Abfahrt von Cusco - der ehemaligen Hauptstadt des Inka-Reichs - sind schon einige Stunden vergangen. Anden-Indianer - die Nachfahren der Inka Stunden, in denen der Zug im Schneckentempo auf einer alten abenteuerlichen Gleiskonstruktion durch die fantastische Berglandschaft der Anden ins "Urubamba-Tal" gekrochen ist. Mittlerweile weiß ich kaum noch, wie ich auf der harten Bank - eingekeilt zwischen zwei breithüftigen Indiofrauen - sitzen soll. Und dabei kann ich wirklich froh sein, überhaupt einen der begehrten Sitzplätze ergattert zu haben !

Bremsen quietschen. Der Zug hält wieder einmal an. Doch diesmal bleibt das sonst übliche große Gedränge im Gang aus. Keiner will aus- oder einsteigen. Abfahrt: Mit dem Zug ins Urubamba-Tal Dafür klopft es von außen an meine Scheibe. Der Schaffner - ich hatte ihm in Cusco gesagt wohin ich möchte - ruft "Kilometro Ocho-Ocho" und gibt mir zu verstehen, dass ich hier aussteigen müsse. Endlich ! Selbiges ist allerdings leichter gesagt als getan. Mit der sperrigen Kraxe bis zur Tür vorzudringen, scheint mir ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Kurzerhand schiebe ich sie aus dem Fenster und klettere hinterher. Túpac Amaru - der letzte Inka-König winkt zum Abschied Der zweite Akt dieses Abenteuers kann beginnen.

"Kilometer 88" - einen richtigen Namen hat dieser Haltepunkt nicht - ist eine gute Ausgangsposition für die Wanderung nach "Machu Picchu". Unweit von hier, in den Bergen der "Cordillera Vilcabamba", beginnt der legendäre "Pfad der Inka".

Nur wenige hundert Meter vom Haltepunkt der Eisenbahn entfernt überspannt eine schmale Hängebrücke den "Rio Urubamba", einen gut und gerne 15 Meter breiten quirligen Fluss. "Kilometer 88" der Ausgangspunkt zum "Inka-Trail" Dort befindet sich der Eingang zum "Camino Inka" - wie der Trail offiziell genannt wird. Jeder, der die Brücke überqueren möchte, muss sich bei einem Wächter melden. Meine Personalien und mein Ziel werden in einem Buch registriert, und gegen eine Gebühr von 10 US$ erhalte ich das Eintrittsticket für das Endziel des Pfades - die sagenhafte Inka-Stadt "Machu Picchu" - samt einer Landkarte mit der näheren Umgebung des Trails.

Angerostete Werbetafeln - ein letzter Gruß der ZivilisationEin Trampelpfad auf dem jenseitigen Flussufer führt sanft ansteigend in ein Nebental, vorbei an Eukalyptusbäumen, blühenden Kakteen und ein paar winzigen Terrassenfeldern. Die Gipfel der das Tal begrenzenden Berge sind von Wolken verhüllt. Nach etwas über einer Stunde straffem Fußmarsches erreiche ich eine ärmlich wirkende wellblechgedeckte Hütte. Zwei kleine rostige Schilder davor werben für Fanta und Coca Cola, doch niemand ist zu sehen, der hier irgendetwas verkaufen könnte. Laut meiner Landkarte dürfte dies für die nächste Zeit der letzte Gruß der Zivilisation gewesen sein.

Wildromantische Berglandschaft am "Rio Kusichaka"Noch ein geraumes Stück folgt der Pfad dem Tal, biegt dann, unweit einer Ruine die wohl auch schon aus Inka-Zeiten stammt, nach rechts ab und führt steil ansteigend den in den Wolken verschwindenden Bergen entgegen. Dichter Bergdschungel begrenzt jetzt die Sicht. Farbenprächtige Bromelien wuchern von bizarr geformten Bäumen. Kolibris umschwirren blühende Büsche. Es herrscht - von den Geräuschen meines Anstiegs und dem entfernten Rauschen eines Gebirgsbaches einmal abgesehen - absolute Ruhe.

1300 Uhr - höchste Zeit, eine kurze Pause einzulegen. Der Proviant, den ich bei mir trage, ist erbärmlich knapp bemessen - für eine solche Wanderung eigentlich vollkommen unzureichend. Rio de Janeiro - der Ausgangspunkt unserer Reise Doch normalerweise sollte ich jetzt überhaupt nicht hier sein ! Durch sehr missliche Umstände war ich gestern Abend gezwungen gewesen, die gesamte Planung der weiteren Tour grundlegend zu ändern: Zu zweit waren wir vor vier Wochen mit großen Plänen nach Südamerika gereist, hatten Rio de Janeiro und die Wasserfälle des Iguazu besucht, waren weiter quer durch Paraguay nach Argentinien gezogen, hatten gemeinsam die Anden über- und die Atacama-Wüste durchquert, um anschließend im chilenischen Antofagasta den Pazifischen Ozean zu erreichen. Die "Iguazu-Wasserfälle" zwischen Brasilien und Argentinien Mit der "Ferrocarril Antofagasta Bolivia", einer mindestens ebenso antik anmutenden Eisenbahnlinie wie der "Urubamba-Bahn", ging es wieder hinauf in die zentrale Andenregion bis nach La Paz, der atemberaubenden Metropole von Bolivien. Nach einem kurzen Zwischenstopp bei den Uro-Indianern am Titicaca-See hieß das nächste große Ziel Cusco in Peru. Doch dort ließ uns das Glück im Stich. Mein Reisegefährte Thomas Wehrsdorfer erkrankte schwer. Alle Versuche, Riesige "Kandelaber-Kakteen" am Osthang der Anden sachkundige ärztliche Hilfe zu bekommen, scheiterten, so dass er die Reise schließlich vorzeitig beenden und heimfliegen musste. Die Tour einfach so fortzuführen kam für mich nicht in Frage. Wir hatten alles gemeinsam geplant und würden es - vielleicht im nächsten Jahr - gemeinsam fortsetzen. Alternativen gab es natürlich genug, doch irgendwie hatte ich nicht die Muse, im Reiseführer danach zu stöbern. Nach einer unruhigen Nacht begab ich mich mit Sack und Pack zum Bahnhof von Cusco. Der Inka-Trail gehörte nicht zur ursprünglichen Route, aber der Zug ins Urubamba-Tal stand abfahrtsbereit. Wenn das kein Fingerzeig war. Das Ticket kostete fast nichts Mit dem Jeep durch die "Atacama-Wüste" ... und die Zeit bis zur Abfahrt reichte gerade noch, um den Großteil des Angebots eines Straßenhändlers als Notration aufzukaufen - vier Käsebrötchen, drei Packungen Kekse, eine Flasche Wasser und den größten Schokoladenriegel, den ich je gesehen hatte. Während der Zugfahrt gab es keine Gelegenheit, weiteren Proviant zu erwerben - und danach erst recht nicht.

Tja, und nun sitze ich hier, muss das Wenige rationieren und hoffen, dass ich unterwegs etwas Essbares finde. ... und weiter mit der Eisenbahn durch die Anden bis Bolivien Doch vorerst sollten ein paar ziemlich trockene Kekse, ein ordentliches Stück Schokolade und Wasser genügen. Doch bäääh - was ist das ? Der erste Bissen in die braune Masse, die ich bisher für eine leckere Süßigkeit gehalten habe, verpasst mir eine heftige Gänsehaut ! Sofort spucke ich das gallebittere Zeug aus. Das bunte Papier enthält keine Schokolade sondern gepresstes, öliges Kakaopulver - bestenfalls mit viel Zucker genießbar. Dieser befindet sich natürlich nicht in meinem Gepäck. Zu Gast bei Uro-Indianern auf dem Titicaca-See Damit verringert sich der Umfang meines Proviants um ein weiteres kostbares Stück - verflixt ! Den ungenießbaren Brocken wegzuwerfen, bringe ich trotzdem nicht übers Herz, packe die Reste des kärglichen Mahls zusammen und stapfe missmutig weiter bergan.

Die Stunden und mein Groll verstreichen. Trotz des unverändert steilen Anstiegs und der schweren Kraxe habe ich das Gefühl, gut voranzukommen. Das Dickicht rechts und links des schmalen Pfades wird allmählich lichter und gestattet immer öfter einen Blick auf die wunderschöne Berglandschaft. Dichter Bergdschungel am "Inka-Trail" Langsam wird es Zeit, nach einem möglichen Schlafplatz Ausschau zu halten. Auf der Landkarte sind einige wenige Stellen markiert, an denen das Zelten möglich sein soll. Eine davon muss unmittelbar vor mir liegen. Und tatsächlich erreiche ich eine Viertelstunde später eine kleine Lichtung mit halbwegs ebenem Untergrund. Zu meiner Überraschung bin ich nicht der einzige Camper an diesem einsamen Platz. Vor einem kleinen Kuppelzelt sitzen zwei junge Männer - wie sich kurz darauf herausstellt zwei Holländer. Ich baue mein Zelt auf und geselle mich anschließend zu den beiden. Die erste Übernachtung (ca. 3750 m ü.NN) Schnell haben wir uns gegenseitig bekannt gemacht und gehen dazu über, vom Woher und Wohin zu berichten, diverse Tipps auszutauschen und über all jene Dinge zu palavern, von denen man abends vor einem Zelt in einem fremden Land mit fremden Leuten so spricht. Zu meiner großen Freude haben die beiden eine reichliche Ration Zucker bei sich. Ein Glück, dass ich den Kakao aufgehoben habe ! Relativ zeitig ziehe ich mich in mein Zelt zurück. Der Tag war anstrengend und der morgige wird bestimmt nicht leichter. Erschöpft schlafe ich schnell ein.

Nur noch ein kurzes Stück bis zum "Warmiwañusqa-Pass" ...Mit der Morgendämmerung beginnt für mich der neue Tag. Noch bevor die Sonne aufgegangen ist habe ich das Zelt abgebaut und bin bereit für den Aufbruch. Im Zelt der Holländer regt sich noch nichts. Unschlüssig, ob ich die beiden wecken soll, verzehre ich mein vorletztes, inzwischen schon ziemlich pappig gewordenes Käsebrötchen. Dann beschließe ich, meine Wanderung allein fortzusetzen.

Wieder führt der steinige Pfad bergan - steiler noch als gestern. Die Sonne brennt heiß vom Himmel, die Fernsicht ist hervorragend und erstmals kann ich ungefähr erahnen, 4201 m ü.NN - Wolken ziehen über den "Warmiwañusqa-Pass"wie weit es noch bis zum Pass ist. Nach und nach verschwinden die letzten Büsche aus meinem Blickfeld. Stattdessen bedeckt hohes Gras den felsigen Untergrund. Wilde Schafe weiden in sicherer Entfernung und ich opfere viel Zeit für ein paar Aufnahmen. Gegen Mittag ziehen wieder Wolken auf und verhüllen die Gipfel. Endlich erreiche ich den "Warmiwañusqa-Pass", den ersten von zwei Pässen und mit 4201 m ü.NN höchster Punkt des Trails. Ein eigenartiges Bild bietet sich mir: Der Pass liegt gerade noch unterhalb der dichten Wolkendecke. Nur wenige Meter über meinem Kopf enden die kahlen Felswände im weißen Dunst. Frei ist dagegen der Blick zurück in das V-förmige Tal, Abstieg ins Tal des "Rio Pakaymayu"aus dem ich gekommen bin. Vor mir - ebenfalls gut zu überblicken - liegt ein U-förmiges Tal, dessen Wände im zarten Grün struppiger Gräser aufleuchten. Wie ein gewaltiger Riegel versperrt ein weiteres hoch aufragendes Felsmassiv das jenseitige Ende dieses Tals und lässt die vor mir liegenden Strapazen des zweiten Anstiegs erahnen. Zu meiner Überraschung ist der Pfad hier grob gepflastert. Sollten das die Reste der alten Handelsstraße der Inka sein ?

Auf derart bequemem Steg lasse ich den Pass rasch hinter mir und steige hinab in das neue Tal. Links des Weges rauscht ein Wasserfall die steile Felswand hinab. Die halbkreisförmigen Grundmauern von "Runkurakay" Als von blühenden Sträuchern umgebener Wildbach folgt das Gewässer dem weiteren Verlauf des Tals. Eine willkommene Gelegenheit, meine fast aufgebrauchten Wasservorräte aufzufrischen.

Bis zum Nachmittag bringe ich das Tal und einen Gutteil des nächsten Anstiegs hinter mich. Ein Stück unterhalb des zweiten Passes erwecken die gut erhaltenen halbkreisförmigen Grundmauern eines aus blankem Naturstein zusammengefügten Bauwerks mein Interesse. "Runkurakay" heißt laut Karte die merkwürdige Ruine, Auf dem "Runkurakay-Pass" (3920 m ü.NN) von deren Plattform man einen zum Urubamba abfallenden Taleinschnitt bestens überblicken kann. Dies war zweifellos ein alter Beobachtungsposten der Inka und ist derzeit ein wunderbares Plätzchen für eine Rast. Doch den Gedanken, hier mein Nachtlager aufzuschlagen, verwerfe ich schnell wieder. Die Sonne steht noch hoch am Himmel und Zeit zu vertrödeln habe ich nicht. Also raffe ich mich samt meiner schweren Kraxe zwanzig Minuten später wieder auf, um den restlichen Anstieg zu bezwingen.

Nach der Ruine wird auch der zweite 3920 m hohe Pass "Runkurakay" genannt. Rechtzeitig bevor ich ihn erreiche, ziehen wieder einmal dichte Wolken auf und beschränken meine Sicht auf wenige Meter. Die Festung "Sayaqmarka" vor einer grandiosen Bergkulisse Fast übersehe ich die kleine Steinpyramide, die den Pass markiert. Ein unangenehm kühler Wind veranlasst mich, dieses ungemütliche Plätzchen schnell hinter mich zu bringen. Steiler noch als heute Vormittag geht es nun bergab. Der Wind zerfasert die Wolken und plötzlich sehe ich "Sayaqmarka", eine beindruckende Festungsanlage der Inka, unmittelbar vor mir liegen. Der Trail führt direkt unterhalb der Ruine vorbei. In den Mauern der Inka-Festung "Sayaqmarka" Bis zum Sonnenuntergang bleiben noch immer zwei Stunden, doch dieses grandiose Plätzchen schreit förmlich danach, hier mein Lager aufzuschlagen ! Abgerundete Natursteinmauern mit großen Fensteröffnungen, schmale Treppen, die einzelne Bereiche der Anlage verbinden, ringsum eine großartige Berglandschaft und dazwischen mein Zelt. Was kann man sich eigentlich noch mehr wünsche - außer vielleicht ein gutes und reichhaltiges Abendessen ?! Noch lange nach Sonnenuntergang streife ich durch die Ruinen und die nähere Umgebung von "Sayaqmarka". Die Morgensonne läßt Dunst aus dem Tal aufsteigen Der fast volle Mond wird von ein paar Federwolken verdeckt, liefert aber dennoch genug Licht für dieses Abenteuer. Erst spät am Abend treibt mich der kühle Nachtwind zurück ins Zelt.

Der nächste Morgen beginnt mit lautstarkem Gekrächze. Zwei große Raubvögel liefern sich über den Mauern der Festung einen heftigen Luftkampf. Auf den Flanken der Berghänge liegen einzelne Wolkenfetzen wie Schleier. Während einer der beiden Vögel heiser schreiend das Weite sucht, baue ich das Zelt ab und sorge dafür, Ein kleines Stück des "Inka-Trails" dass keine Spuren meiner Anwesenheit zurückbleiben. Das kalte Wasser eines Wildbachs unterhalb der Festung vertreibt den letzten Rest Müdigkeit. Erfrischt setze ich meine Wanderung Richtung "Machu Picchu" fort. Der noch immer grob gepflasterte Weg führt quer durch ein dichtes Gehölz. In dicken Strähnen hängen farbige Moose, Flechten und Farne von den knorrigen Ästen der Bäume. Nebelfetzen schweben in der Luft, verleihen dem Wald eine urzeitliche, fast schon gespenstige Atmosphäre. Plötzlich höre ich dicht hinter mir ein rhythmisches, sich schnell näherndes Geräusch. Wie gebannt warte ich; staune, was da auf mich zukommt. Moose und Flechten überwuchern den Bergwald Einzelne Gestalten lösen sich aus den Nebelschleiern: Indios ! Eine ganze Gruppe - in farbige Ponchos gehüllte und mit prall gefüllten Tragetüchern auf den Schultern. Im Gänsemarsch laufen sie an mir vorbei, legen dabei ein enormes Tempo vor. Die Lasten, die die kleinwüchsigen Männer tragen, müssen sehr schwer sein. Tief gebeugt läuft der ganze Trupp und die letzten beiden schleppen - ich traue meinen Augen kaum - einen gusseisernen Kanonenofen durch die Wildnis ! Noch ehe ich so richtig begriffen habe, was da gerade an mir vorbeigehuscht ist, sind die Indios auch schon wieder in einem Nebelschleier verschwunden.

"Phunyupatamarka" - ein weiteres Bauwerk der InkaEine halbe Stunde später lichtet sich der Wald. Blühende Heide und farbenprächtige Moose bestimmen nun das Bild. Der Trail verläuft ein kurzes Stück auf dem relativ schmalen Grat des Bergrückens. Erstmals seit Beginn der Wanderung öffnet sich mir wieder der Blick in das tief durchs Gebirge schneidende Urubamba-Tal. Unmittelbar darauf stehe ich oberhalb eines weiteren sehr eindruckvollen Bauwerks der Inka, welches "Phunyupatamarka" genannt wird. Herrlich blühende Büsche säumen den Pfad Ein ganzer Komplex aus Natursteinmauern umringt einen Terrassenhügel. Lange schmale Steintreppen führen bis zum Scheitel des Berges, auf dem eine strohgedeckte Hütte steht. Hier treffe ich auch die Indios wieder, die vorhin mit ihren Lasten an mir vorbeigehetzt sind. Sie gehören einer Arbeitsgruppe an, die "Phunyupatamarka" gerade rekonstruiert. Ein kurzes Weilchen genieße ich noch den herrlichen Blick über das Urubamba-Tal und beginne dann den Abstieg. Durch Bambusdickicht und dichtes Strauchwerk windet sich der Pfad, dem Lauf des schmalen "Rio Choquesuysuy" folgend, talwärts.

"Wiñaywayna" - das nächste Ziel am "Inka-Trail"Knapp tausend Höhenmeter tiefer, aber noch immer hoch über der Talsohle und dem Urubamba-Fluß, liegt "Wiñaywayna", die größte und imposanteste Ruinenstätte am Inka-Trail. Auf einer Vielzahl von Mauern und Terrassen stehen die Reste einer Siedlung beachtlichen Ausmaßes. Steile Natursteintreppen verbinden die schmalen Terrassen mit einem auffälligen Gebäude - vermutlich einstmals ein Tempel oder Palast - auf dem Scheitelpunkt der Anlage. Zahllose rote Veilchen wachsen aus dem uralten Mauerwerk Die ganze Szenerie erinnert stark an ein gewaltiges Amphitheater am Rande des dichten Bergwaldes. Ich nutze die verbleibende Zeit bis zum Sonnenuntergang, um auch diese Anlage gründlich zu erforschen. Rot blühende Veilchen und farbige Moose wuchern aus den Ritzen des uralten Mauerwerks, und - was für eine Überraschung - Walderdbeeren gibt es hier auch. Die Erdbeeren sind reif und herrlich süß - das Abendessen ist gesichert !

Blick auf das Hauptgebäude der alten StadtWohl wissend, dass dies keiner der in der Karte verzeichneten Zeltplätze ist, beschließe ich, die Nacht inmitten dieser geheimnisvollen Ruinenstadt zu verbringen. Das Zelt ist schnell aufgebaut, und im Licht des Vollmondes beginne ich meinen zweiten, nächtlichen Rundgang durch die einsamen und geheimnisumwitterten Gemäuer "Wiñaywaynas".

Noch ehe die Sonne am folgenden Morgen über dem Bergkamm erscheint, habe ich das Zelt bereits wieder abgebaut und alle Spuren meines nächtlichen Aufenthalts getilgt. Vor dem Aufbruch gönne ich mir noch ein paar Minuten, um die herrliche Szenerie ein letztes Mal auf mich einwirken zu lassen: Hoch über den Wolken: die Mauerreste von "Wiñaywayna" bizarre Ruinen, dahinter das tief eingeschnittene Urubamba-Tal. Ein noch unterhalb der Stadt liegender Streifen dichter Wolken verbirgt die Talsohle vor meinen Blicken. Die Gipfel der gegenüberliegenden Bergkette, der "Cordillera Veronika", ragen dagegen wie mächtige Zinnen aus der wallend weißen Masse heraus. Ich reiße mich von dem berauschenden Anblick los, um die letzte Etappe auf meinem Weg nach "Machu Picchu" in Angriff zu nehmen. Nur noch schlappe fünf Kilometer auf relativ einfachem Terrain trennen mich von diesem Ziel.

Die Straße vom Urubamba-Tal hinauf nach "Machu Picchu"Eine knappe Stunde später erreiche ich "Intipunku", den letzten großen Wendepunkt des Trails. Von hier aus führt der Pfad nahezu direkt auf "Machu Picchu" zu. Laut Reiseführer ist dies auch der erste Punkt, von dem die ehemalige Inka-Stadt zu sehen sein soll. Dank der aus dem Tal aufsteigenden Wolken bleibt mir dieser erste Blick jedoch vorerst verwehrt. Ich warte ein Weilchen - umsonst ! "Machu Picchu" vor der Silhouette von "Waynapicchu" Keine Lücke gewährt Aussicht auf den berühmten Ort. Ein wenig enttäuscht gehe ich, durch die Wolkenschleier immer wieder nach "Machu Picchu" spähend, weiter. Doch noch ein ganzes Stück bevor ich endlich meinen ersten Blick auf die sagenumwobenen Gemäuer werfen kann, höre ich bereits den Lärm zahlreicher Touristen. Auf einer in Serpentinen gnadenlos durch den Bergwald geschlagenen Piste rattern gleich mehrere Touristenbusse den steilen Hang vom sich durch das Felsmassiv schlängelnden Urubamba-Tal herauf. Ein extrem aufdringliches Geräusch, wenn man drei Tage in der Stille der Bergwelt verbracht hat. Lamas auf dem zentralen Platz der Inka-Stadt Endlich reißen auch die Wolken auf, und ich sehe den Bergrücken mit der Ruinenstadt "Machu Picchu" unmittelbar vor mir liegen.

Am Eingang muss ich mich erneut in einem Buch registrieren. Ich bin am Ziel angekommen, aber irgendwie gar nicht so glücklich darüber. Obwohl weder "Sayaqmarka" noch "Phunyupatamarka" und noch nicht einmal "Wiñaywayna" dem Vergleich mit dem viel größeren "Machu Picchu" standhalten können, sehne ich mich angesichts des hier herrschenden lautstarken Trubels zurück auf den einsamen Trail. Bromelien - leuchtende Farbtupfer zwischen den grau-braunen Ruinen Mehr oder minder lustlos bummle ich bis zum Mittag über die Terrassen der ehemaligen Inka-Stadt. Dann ertönt das Hupsignal der Busse. Die Touristengruppen verlassen das Gelände - und nun gehört "Machu Picchu" zumindest für ein paar Stunden doch noch mir !

In aller Ruhe schlendere ich durch die menschenleeren Gassen der Stadt. Manche der Häuser hat der Zahn der Zeit stark in Mitleidenschaft gezogen. Bei anderen fehlt lediglich das Dach, das wohl einst aus Holz und Stroh bestanden hat. Auf dem höchsten Punkt im Westen der Stadt stehen die Reste einer alten Tempelanlage. Die Natursteinmauern sind hier so meisterhaft ineinandergefügt, dass man nicht einmal eine Messerklinge in die Fugen schieben kann. Was für ein grandioses Panorama ! Eine Treppe führt vom Tempel hinab auf einen grasbewachsenen rechteckigen Platz mit terrassenartig ansteigenden Längsseiten. Eine kleine Gruppe Lamas, die - woher auch immer - nach dem Verschwinden der geräuschvollen Besucherscharen inmitten der Ruinen aufgetaucht sind, tummelt sich nun auf diesem Karree. Ich erklimme den von einem besonders weitläufigen Gebäudedominierten östlichen Bereich von "Machu Picchu". Durch die Reste der Grundmauern einzelner Gebäude, die an dieser Stelle wie die Zinnen einer Burg wirken, öffnet sich abermals der freie Blick auf das herrliche Urubamba-Tal. Die Bahnstation im Urubamba-Tal ... und weiter geht die Tour Gut 500 Meter unter mir schlängelt sich das Gleis der Eisenbahn am Ostufer des "Rio Urubamba" entlang. Noch ein paar Augenblicke versuche ich mir dieses Panorama fest einzuprägen, dann wird es auch für mich höchste Zeit, die Stadt und den Pfad der Inka zu verlassen. Im Laufschritt lege ich die letzten zwei Kilometer auf einem steil ins Tal hinab führenden Trampelpfad zurück. An der genau unterhalb von "Machu Picchu" gelegenen Bahnstation wartet bereits der auch diesmal wieder völlig überfüllte Zug. Als einer der letzten Passagiere gelingt es mir gerade noch so aufzuspringen. Der Zug ruckt an. Ein letzter Blick hinauf zu den wolkenverhangenen Bergen der "Cordillera Vilcabamba". Trotzdem ich nun genau weiß, wo die versteckte Inkastadt zu suchen ist - ich kann sie nicht mehr erkennen.

Bericht: Heiko Otto
Dezember 1996  

Kommentar
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Rio de Janeiro - der Ausgangspunkt unserer Reise Rio de Janeiro - der Ausgangspunkt unserer Reise Die "Iguazu-Wasserfälle" zwischen Brasilien und Argentinien Die "Iguazu-Wasserfälle" zwischen Brasilien und Argentinien Am "Jama-Pass", ca. 4400 m über dem Meeresspiegel Mit dem Jeep durch die "Atacama-Wüste" ... Vom Wind geformtes Eis hoch oben in den Anden ... und weiter mit der Eisenbahn durch die Anden bis Bolivien Zu Gast bei Uro-Indianern auf dem Titicaca-See Zu Gast bei Uro-Indianern auf dem Titicaca-See