Kolumbien / Venezuela 2001
... auf der Suche nach der verlorenen Stadt ...
                      (Thomas Wehrsdorfer und Heiko Otto)
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Eine schmale moosbewachsene Treppe aus grobem, unregelmäßig behauenem Naturstein mitten im Dschungel der "Sierra Nevada de Santa Marta" in Kolumbien - wir haben unser Ziel, die "Verschollene Stadt" - das "Teyuna" der Tayrona-Indianer - fast erreicht. Mitten im Dschungel: die Treppe nach "Teyuna"Ringsum Dickicht und Urwaldriesen. In den Bäumen über uns tummelt sich eine Horde Affen, unter uns gurgelt der kleine aber reißende Fluss, den wir in den letzten zwei Tagen so oft durchwaten mussten. Große Insekten, schillernde Käfer, bunte Schmetterlinge und die allgegenwärtigen aufdringlichen Moskitos schwirren durch die schwülwarme Luft. Die Geräuschkulisse des Dschungels wird vom Rauschen zweier Wasserfälle übertönt. Der Aufstieg ist beschwerlich - die Stufen sind feucht und höllisch glatt - doch "Teyuna", das Ziel, wegen dem wir all die Strapazen der letzten Tage auf uns genommen haben, ist nun zum Greifen nah.

2000 Steinstufen - das gibt Zeit genug, einen Blick zurückzuwerfen: Pfahlsiedlungen bei MaracaiboKaum zu glauben, doch unsere Landung in Caracas liegt gerade mal eine Woche zurück; eine Woche, deren Erlebnisse für Monate gereicht hätten. In Gewaltetappen ging es quer durch halb Venezuela. Die Zeit war - wie fast immer auf solchen Touren - extrem knapp bemessen. Nicht mehr als zwei Wochen blieben uns für dieses außergewöhnliche Abenteuer. Dementsprechend straff sah unser Reiseplan aus: Ein kurzer Abstecher zu den Pfahldörfern bei Maracaibo, denen Venezuela (= "Kleinvenedig") seinen Namen verdankte, eine Fahrt mit dem "Teleferico" von Merida - Farbenprächtiges Maracaiboder längsten und höchsten Seilbahn der Welt - hinauf zum "Pico Bolivar", dem mit 5007 m ü.NN höchsten Berg des Landes, und ansonsten vor allem stundenlange Busfahrten, meistenteils durch eine wunderschöne Berglandschaft. Vier Tage nach unserer Landung überquerten wir die Grenze nach Kolumbien, was - wie gewöhnlich - nicht ohne Probleme ablief. Die Seilbahn "Teleferico" vor dem "Pico Bolivar"Die Beamten waren nervös, wegen der nur wenige Kilometer entfernt operierenden Guerilla. Der Reiseführer warnte ausdrücklich vor dieser Gegend, doch die Verlockung der alten Indio-Stadt in der Sierra war größer.

Weiter ging die Fahrt durch weitflächige Bananenplantagen entlang der Karibikküste. Links der Straße, von Wolkenschleiern umhüllt, konnten wir bereits unser Zielgebiet bewundern: Die Berge der "Sierra Nevada de Santa Marta". Stunden später erreichten wir unseren eigentlichen Ausgangspunkt - Mit dem Taxi über die kolumbianische GrenzeSanta Marta, die älteste Kolonialstadt Südamerikas. Laut Reiseführer sollte es hier möglich sein, einen ortskundigen Führer für den sechstägigen Dschungeltrip zu finden. Ein guter Anlaufpunkt hierfür ist das kleine Hotel "Miramar" - ein Geheimtipp unter Rucksacktouristen. Schneller als gedacht hatten wir einen Führer gefunden und die Formalitäten der Tour geklärt. Etwas über 120 US$ sollte die Tour kosten, Übernachtung und Essen inklusive - ein fairer Preis.

Mit dem Bus von Santa Marta in die Sierra NevadaAm Morgen des übernächsten Tages war es dann soweit: In einem kleinen, bunt bemalten Bus fuhren wir in die fantastische Bergwelt der Sierra. Die Straße, anfangs noch geteert, ging bald in eine holprige Piste mit irrsinnig steilen Anstiegen und zahllosen Kurven über. Obwohl man es ihm keinesfalls ansah, schaffte der Bus die Strecke, auf der wohl so mancher Jeep seine Probleme bekommen hätte, fast mühelos. Paramilitärs (sog. "Todesschwadron") kontrollieren die SierraEndstation war ein kleines Dorf am Fuß der Berge. Von hier aus hieß es Laufen, vorbei an den schwer bewaffneten Posten der AUC*-Paramilitärs, die dieses Gebiet kontrollieren.

Der erste Anstieg erwies sich gleich als echter Hammer. Bei brütender Hitze ging es zwei Stunden auf staubigen Pfaden steil bergan. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel und die Kraxe drückte unangenehm auf den Schultern. Wenigstens Proviant und Kochgeschirr konnten vorerst noch auf dem Rücken eines Maultiers transportiert werden. Mit einem sehr schönen Blick über das weite Tal und einem Schluck frisch gepressten Orangensaft wurden die Strapazen des Aufstiegs schließlich belohnt. Nach einer wohlverdienten Pause ging es weiter, Aufbruch in den Dschungelnun zuerst leicht, dann immer steiler bergab. Mittlerweile waren Wolken aufgezogen und ein Gewitter kündigte sich mit lautem Grollen an. Nur Minuten später brach das Unwetter über uns herein - ein wahrer Wolkenbruch. Der staubige, von unzähligen Füßen und Hufen ausgetretene Pfad verwandelte sich innerhalb von Sekunden in eine schlammige Rutschbahn allererster Güte. Louis - unser Führer durch den DschungelLouis - unser Führer - zeigte uns unfreiwillig, wie schnell man hier für einen Fehltritt bestraft werden konnte ...

Der Abstieg endete in einem Talkessel Talkessel (in dem Louis - völlig schlammverschmiert - bereits auf uns wartete). Zwei strohgedeckte Bambushütten, eine davon schien eine Art Mission oder Schule zu sein, dienten uns kurzzeitig als Unterschlupf vor dem sintflutartigem Regen. Farbenprächtige Blumen und blühende Büsche zierten ein kleines Gärtchen vor den Hütten. Noch gibt es einen erkennbaren PfadDer Clou jedoch war eine große Billardplatte, die - ebenfalls von einem Strohdach geschützt - auf einer Art Veranda stand. Wie kam ausgerechnet so ein Teil hierher, mitten in den nordkolumbianischen Dschungel ? Der Besitzer der "Hazienda" sprach leider nur gebrochenes spanisch, weswegen die Antwort auf diese Frage ungeklärt blieb. Wenige Meter hinter der Hütte hatte ein kleiner Wasserfall einen recht ansehnlichen Swimmingpool in den Felsen gespült. Ein großer Felsblock bildete eine Art natürlichen Sprungturm. Eine solche Gelegenheit zum Baden konnten wir natürlich nicht ungenutzt lassen - da spielte auch der Regen keine Rolle mehr !

Erfrischt und halbwegs ausgeruht begaben wir uns eine Stunde später auf die letzte Etappe des Tages. Wild wuchernde Vegetation - wo immer man hinsiehtDer Regen hörte ebenso plötzlich auf wie er begonnen hatte; an der enorm hohen Luftfeuchtigkeit änderte sich deswegen jedoch nichts. Schwaden feuchtwarmer Luft zogen durch das grüne Dickicht. Der Pfad führte immer weiter in den Wald. Kleinere gerodete Flächen, teils als Weiden genutzt, teils mit Bananen oder Zuckerrohr bepflanzt, zeugten aber auch hier noch von der Präsenz des Menschen.

Koka-Pflanzen - das Tagesziel ist fast erreichtAm späten Nachmittag erreichten wir ziemlich erschöpft, durchnässt und schlammverschmiert des Tagesziel: "Alfredos Haus". Inmitten eines gerodeten Abschnitts stand eine relativ große, fast quadratische Hütte, umgeben von einer überdachten Veranda und bewohnt von einer mindestens zehnköpfigen Familie samt zahllosen Haus- und Nutztieren. Unsere Ankunft wurde bereits erwartet, und der Hausherr "Don" Alfredo begrüßt uns herzlich und machte uns kurz mit der Örtlichkeit vertraut. Zu Gast bei Koka-BauernDie Wohnräume der Hütte wirkten sehr spartanisch: wenige grob gezimmerte Holzmöbel, Hängematten und ein paar vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografien an den ansonsten kahlen Lehmwänden. Die Küche befand sich außerhalb des Hauses und bestand vor allem aus einem überdachten Lehmofen, an dem sich die Hausherrin sofort anschickte, unser Abendessen zuzubereiten. Die wertvolle Ernte: Koka-BlätterAls Waschgelegenheit diente ein Fass neben der Veranda, welches über einen langen Schlauch mit Frischwasser aus einer Quelle der umliegenden Berge versorgt wurde. Die Toilette befand sich ebenfalls im Freien und wurde lediglich durch eine einzelne Bretterwand vor direkter Einsicht geschützt. (Peinliche Szenen waren da vorprogrammiert !) Einen Stromanschluss gab es nicht. Alles was wir zu sehen bekamen, war für uns Stadtmenschen faszinierend, doch unsere besondere Aufmerksamkeit galt einem beachtlichen Haufen Kokablättern, die auf der Veranda ihrer Weiterverarbeitung harrten. ... und das gefährliche Endprodukt: Roh-KokainBereitwillig erklärten und zeigten uns zwei von Alfredos Söhnen, wie aus den Blättern Rohkokain gewonnen wurde. Für wenige Pesos ging der Stoff dann weiter an die Paramilitärs und deren Helfershelfer. Was uns sensationell erschien, war für Alfredos Familie einfach lebensnotwendiger Alltag.

Geschlafen wird in der HängematteNoch während wir das erstaunlich reichhaltige Abendessen - Suppe Marke Allerlei, Huhn und Maniok - zu uns nahmen, brach die Nacht herein. Beim spärlichen Licht unserer Teelichter und einer Ölfunzel, die Louis mitgeschleppt hatte, verging der Rest des Abends beim Kartenspiel (was vor allem die Kinder des Hauses faszinierte), ein paar Joints und angeregter Diskussion über die aktuellen Verhältnisse in Kolumbien (Louis dolmetschte). Die Nacht verbrachten wir in Hängematten unter dem Vordach der Veranda.

Undurchdringlich wirkt die Wand aus PflanzenDer folgende Tag begann für Alfredo und seine Familie schon lange vor Sonnenaufgang. Gegen vier Uhr rüsteten sich unsere Gastgeber für ihr Tagwerk. Ans Weiterschlafen war da natürlich auch für uns nicht mehr zu denken. Bis zum Aufbruch blieb noch viel Zeit; eine gute Gelegenheit für uns, einen kurzen Einblick ins harte Leben der Kokabauern zu nehmen. Stunden später, nach einem kräftigen Frühstück, setzten wir unseren Weg durch den Urwald fort. Gerodete Flächen, die Spuren der Zivilisation, wurden immer seltener. Dafür schien die Vielfalt der Pflanzenwelt geradewegs zu explodieren. Erste Spuren der Kogi-IndianerWo immer der Blick auch hinfiel, überall gab es neue, interessante Arten zu entdecken. Büsche mit riesigen Blüten und seltsamen Früchten, baumhohe Farne, wilde Bananen und Kaffeesträucher, Schlingpflanzen, Lianen und Bromelien die von knorrigen Bäumen mit bizarren Wurzelwerk wucherten. Der Dschungel bildete mehr und mehr eine komplexe grüne Wand. Auf einer Lichtung entdeckten wir zwei kleine Rundhütten aus Bambus und Stroh - die ersten Spuren der Kogi-Indianer, der Nachfahren der Tayronas, die noch heute in der Sierra Nevada leben. Rundhüttendorf der KogisDie Hütten waren verlassen, doch wenig später erreichten wir ein regelrechtes Dorf, bestehend aus gut zwei Dutzend der runden Wohnstätten. Louis gebot uns zu warten. Die wenigen Kogis - es waren ausschließlich Frauen und Kinder - die sich zur Zeit im Dorf aufhielten, waren scheu und versteckten sich in ihren Hütten. Kogi-IndianerMit dem Ruf "Hanchiga, hanchiga manito" - was in der Sprache der Kogi soviel wie "Hallo, wie geht es euch" bedeutet - ging er voraus und erbat für uns die Erlaubnis, das Dorf durchqueren zu dürfen. Mit Schokolade und ein paar anderen Süßigkeiten erlangten wir daraufhin schnell das Vertrauen der Indios. Es wurde uns sogar gestattet, ein paar Fotos zu schießen.

Das Tagesziel, eine Art überdachten Rastplatz, erreichten wir bereits am frühen Nachmittag. Luxus pur: Duschen im UrwaldGern wären wir noch ein Stück weitergelaufen, doch unser Führer meint, dass dies nicht ratsam wäre. Während also das Essen im Kessel über dem auch hier vorhandenen Lehmofen garte, schickten wir uns an, die nähere Umgebung zu erkunden. Unterhalb unseres Lagers rauschte lautstark ein kleiner Fluss über eine Reihe von Stromschnellen. Ein idyllisches Plätzchen - und eine gute Gelegenheit, die durchschwitze Kleidung auszuwaschen. Den Rest des Tages füllten kleine Streifzüge durch das wilde, ursprüngliche Flusstal. Die schnell hereinbrechende Nacht verbrachten wir wieder in Hängematten. Das Rauschen des Flüsschens und die nächtlichen Geräusche des Dschungels sorgten für eine exotische Atmosphäre. Ein neuer Morgen - der Dschungel erwachtDie Finsternis des Waldes schien absolut; von den flimmernden Punkten hunderter kleiner Leuchtkäfer eher noch betont als gestört.

Ausgeruht und von dem Gedanken beflügelt, heute unser Ziel "Teyuna" zu erreichen, ging es am Morgen weiter. Der ausgetretene Pfad des ersten Tages lag schon lange hinter uns. Stattdessen führte uns Louis nun auf halsbrecherisch glitschigen, stellenweise nicht mehr als handflächenbreiten Felsgraten hoch oben über dem gurgelnden Fluss, Immer wieder müssen wir durch den Flussdurch halb überwucherte, kaum noch erkennbare Schneisen im Urwald oder, wenn auch dies nicht mehr möglich war, direkt durch das quirlende Gewässer. Ein atemberaubend schönes Plätzchen, eine steinige Landzunge unmittelbar vor zwei kleineren, direkt aus dem grünen Dickicht des Dschungels sprudelnden Wasserfällen, diente uns als Rastplatz für die Mittagspause. Ca. 2000 Stufen führen hinauf nach Teyuna Nur wenige Meter weiter, zwischen den wuchernden Pflanzen kaum noch erkennbar, begann die steil ansteigende Treppe hinauf zur "Verlorenen Stadt".

Mittlerweile regnet es wieder. Der Rest unserer kleinen Gruppe ist vorausgestürmt und irgendwo in den Nebelschwaden über mir verschwunden. Ich genieße jeden Schritt auf den von dickem, feucht glitzernden Moos überwucherten uralten Stufen. Wer mag wohl früher hier hinauf und hinab gestiegen sein ? Louis hatte uns am Abend zuvor einiges über das Leben, die Bräuche und vor allem über die Baukunst der Tayronas erzählt. Jetzt, mit eigenen Augen gesehen, bekam dies eine ganz neue Bedeutung. Kogi-Indianer - die Nachfahren der Erbauer von TeyunaJahrhunderte hatte diese Anlage überdauert, trotz der extremen Bedingungen des Bergdschungels.

Nach ca. 1200 Stufen fängt die eigentliche Stadt an. Einzelne kreisrunde oder ovale Terrassen, von Steinmauern umgeben und oft sogar in sich verschachtelt, dominieren. Auf den Terrassen müssen früher Holzhäuser gestanden haben, von denen heute jedoch nichts mehr zu sehen ist. Statt dessen wachsen hochstämmige, mit farbenprächtigen Bromelien überwucherte Palmen und Riesenfarne auf den ebenen Flächen. Noch immer geht es treppauf. Die Stufen sind nun breiter und deutlich besser erhalten. Stufenförmige Terrassen in TeyunaWeitere 800 Stufen später bildet eine Art Plateau mit einer besonders großen stufenförmig gebauten Terrasse das eigentlich Zentrum Teyunas. Davor steht ein riesiger Stein, der einer Kröte, einem der heiligen Tiere der Tayronas, sehr ähnlich sieht. Noch etwas höher befindet sich eine Art hölzerne Schutzhütte - unser heutiges Nachtlager. Hier treffe ich auch wieder auf Thomas und Louis.

Die letzten Stunden des Tages vergehen wie im Fluge. Louis ist sichtlich erfreut, uns, während wir die Stadt durchstreifen, sein Wissen über die Tayronas vermitteln zu können. Dick mit Moos bewachsen sind die Steinwände "Teyunas"Schnell zeigt sich, dass Teyuna viel größer ist, als wir dachten. Terrasse auf Terrasse schmiegt sich an den steil abfallenden Berghang. Immer wieder entdecken wir schmale, mit Steinplatten gepflasterte Wege und Treppen, kleine Plateaus und Aussichtspunkte - bis schließlich die Nacht herein bricht.

Einen Tag und eine Nacht bleiben wir in Teyuna. Früh am Morgen, kurz vor Sonnenaufgang steigen Wolkenschleier die Berghänge hinauf. Wenig später bricht die Sonne durch die Wolkendecke. Die grauen Steinwälle bewirken in diesem Licht einen tollen Kontrast zur satten, grün aufleuchtenden Vegetation ringsum. Moose bilden auf vielen der Mauern einen dichten pelzigen Belag. Wir gönnen uns noch einen kurzen letzten Rundgang durch die "Verlorene Stadt", dann heißt es Abschied nehmen. Die Steintreppe ist das letzte, was wir von Teyuna sehen, dann geht es im Eilmarsch zurück Richtung Santa Marta. Diesmal wollen wir die beschwerliche Strecke in nur zwei Tagen bewältigen ...

*) AUC = "Avanzando Unidos por Colombia" (= Todesschwadron)

Bericht: Heiko Otto
Juli 2001        

Kommentar
Südamerika 1996 Kolumbien 1998
 

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